Die Mythologie von Ragnar Lodbrok (Mit Video)
- Michael Praher
- 5. Apr.
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Apr.

Ragnar Lodbrok ist eine der faszinierendsten Figuren der Wikingerzeit, doch die Grenzen zwischen historischer Realität und epischer Legende sind verschwommen. Einige Quellen deuten darauf hin, dass er eine reale Person war – ein Wikingerkrieger, der im 9. Jahrhundert lebte und berüchtigte Raubzüge in England und Frankreich führte. Andere sehen ihn als eine Sammlung mehrerer historischer Persönlichkeiten, deren Heldentaten in den Sagas zu einer einzigen übermenschlichen Gestalt verschmolzen sind. Sein Beiname „Lodbrok“, was so viel wie „fellene Hose“ bedeutet, stammt aus einer Geschichte, in der er eine mit Teer getränkte und mit Fell ausgekleidete Hose trug, um sich vor dem Gift eines Drachen zu schützen. Schon dieser Aspekt zeigt, wie sehr seine Geschichte mit mythologischen Motiven verwoben ist.
Die Prophezeiung seiner Geburt
Wie viele große Heldenfiguren der nordischen Sagas war auch Ragnars Geburt von außergewöhnlichen Vorzeichen begleitet. Seine Herkunft ist von Legenden umwoben, und die verschiedenen Überlieferungen zeichnen ein Bild eines Kindes, dessen Schicksal schon vor seiner Geburt vorherbestimmt war.
Seine Mutter, je nach Quelle eine adlige Frau oder eine weise Zauberin, träumte von einem gewaltigen Sturm, der über das Land hereinbrach, alles niederwarf und anschließend einen Baum wachsen ließ, dessen Äste sich über die ganze Welt erstreckten. Die Seher deuteten dies als Zeichen dafür, dass ihr Sohn ein großer Krieger und Eroberer werden würde – ein Mann, dessen Ruhm weit über sein eigenes Leben hinausreichen sollte.
Sein Vater, der legendäre Sigurd Ring, war ein mächtiger König, der über Schweden und Dänemark geherrscht haben soll. Er selbst galt als direkter Nachkomme der Götter und wurde als weiser und furchtloser Krieger beschrieben. In manchen Überlieferungen wird Ragnar gar mit einer göttlichen Abstammung in Verbindung gebracht – seine Ahnenlinie soll sich bis zu Odin selbst zurückverfolgen lassen. Diese Behauptung war in der Wikingerzeit weit verbreitet, denn viele Herrscher nutzten die Vorstellung einer göttlichen Herkunft, um ihre Macht zu legitimieren.
Die Seher, die das Schicksal Ragnars deuteten, warnten jedoch auch davor, dass er kein gewöhnliches Leben führen würde. Er würde große Reiche erobern und unsterblichen Ruhm erlangen, doch sein Tod würde grausam und schicksalhaft sein. Diese Prophezeiung begleitete ihn sein ganzes Leben – ein Leben, das geprägt war von Kühnheit, Ruhm und letztlich tragischem Verrat.
Schon als Kind zeigte Ragnar Zeichen seiner außergewöhnlichen Bestimmung. Es heißt, dass er mit unbändigem Mut und einer scharfen Auffassungsgabe gesegnet war. Während andere Kinder spielten, übte er sich bereits im Kampf und zeigte eine unstillbare Rastlosigkeit, die ihn schließlich auf seine ersten großen Abenteuer führen sollte. Sein Schicksal war besiegelt – Ragnar Lodbrok sollte einer der gefürchtetsten und berühmtesten Wikingerführer aller Zeiten werden.
Ragnars Drachenkampf und die Eroberung von Lagertha
Eine der berühmtesten Geschichten über Ragnar erzählt von seinem Kampf gegen einen furchterregenden Drachen, ein Motiv, das ihn in die Reihe der größten Helden der nordischen Sagas stellt. In einer abgelegenen Burg, von hohen Mauern und düsteren Wäldern umgeben, soll das Ungeheuer sein Unwesen getrieben haben. Niemand wagte es, sich dem Drachen zu stellen, denn sein giftiger Atem und seine scharfen Klauen bedeuteten den sicheren Tod. Doch Ragnar, jung und ehrgeizig, nahm die Herausforderung an.
Um sich gegen den tödlichen Atem des Drachens zu wappnen, fertigte er eine besondere Rüstung an: Er tauchte seine Kleidung in Teer und verstärkte sie mit dicken Fellen, sodass das Gift des Ungeheuers ihm nichts anhaben konnte. Bewaffnet mit seinem Schwert und einer unerschütterlichen Entschlossenheit stellte er sich der Bestie. Nach einem langen und erbitterten Kampf gelang es ihm, den Drachen niederzustrecken und die gefangene Prinzessin zu befreien. Diese Tat brachte ihm großen Ruhm ein, und schon bald eilte sein Name als Held und Drachenbezwinger durch die Lande.
Doch Ragnars Ruhm gründete sich nicht nur auf seine Kämpfe gegen mythische Bestien, sondern auch auf seine Eroberungen – sowohl auf dem Schlachtfeld als auch in der Liebe. Eine seiner berühmtesten Gefährtinnen war Lagertha, eine wilde und tapfere Schildmaid, deren Schönheit und Kampfkunst legendär waren. Doch Lagertha war keine Frau, die sich leicht für einen Mann entschied. Um ihr Herz zu gewinnen, musste Ragnar seine Stärke und seinen Mut unter Beweis stellen.
Als er um ihre Hand anhielt, stellte sie ihm eine tödliche Prüfung: Lagertha hatte einen Bären und einen riesigen Hund als Wächter über ihr Heim gestellt, und nur wer diese Bestien besiegen konnte, sollte ihr würdig sein. Ragnar zögerte nicht – mit seinem Speer tötete er den Bären, während er den Hund mit bloßen Händen erwürgte. Beeindruckt von seinem Mut und seiner Wildheit, erkannte Lagertha ihn als ihren Gemahl an, und die beiden wurden ein Paar.
Doch ihre Beziehung war ebenso feurig wie stürmisch. Lagertha war nicht nur eine Kriegerin auf dem Schlachtfeld, sondern auch im Herzen, und Ragnar, rastlos und von seinem Ehrgeiz getrieben, suchte immer neue Herausforderungen. Schließlich trennte er sich von ihr, um eine weitere schicksalhafte Verbindung einzugehen – eine Entscheidung, die sein Leben und sein Schicksal für immer verändern sollte.
Die Heirat mit Aslaug und die Söhne des Helden
Nach seiner Trennung von Lagertha heiratete Ragnar Aslaug, eine Frau mit mysteriösen Ursprüngen. In den Sagas wird sie als Tochter des legendären Helden Sigurd und der Walküre Brynhild beschrieben, was ihr eine fast göttliche Abstammung verleiht. Aslaug war nicht nur schön, sondern auch weise. Sie warnte Ragnar vor gefährlichen Unternehmungen und prophezeite das Schicksal ihrer Söhne. Und diese Söhne sollten die Geschichte über Ragnar hinaus prägen. Ihre Namen – Ivar der Knochenlose, Björn Eisenseite, Hvitserk, Ragnald und Sigurd Schlangenauge – sind in den Sagas untrennbar mit der Fortführung seiner Legende verbunden.
Ivar der Knochenlose wurde als der schlauste und grausamste von ihnen beschrieben, obwohl er aufgrund eines Fluchs mit schwachen oder fehlenden Knochen geboren wurde. Doch seine geistige Überlegenheit machte ihn zu einem der größten Strategen seiner Zeit. Björn Eisenseite wurde zum Gründer einer mächtigen Dynastie, während Hvitserk, Ragnald und Sigurd eigene blutige Pfade einschlugen, die das Erbe ihres Vaters weiter trugen.
Ragnars Raubzüge und sein Streben nach Unsterblichkeit
Ragnar war kein Herrscher, der sich mit der Verwaltung von Land zufrieden gab. Er war ein Krieger, getrieben von dem unstillbaren Durst nach Reichtum, Ehre und unvergänglichen Ruhm. Sein Platz war nicht der Thron, sondern das Deck eines Drachenbootes, sein Schicksal lag nicht in der Politik, sondern in der Schlacht. Immer wieder zog es ihn hinaus auf das offene Meer, dorthin, wo neue Eroberungen, unermesslicher Reichtum und die Herausforderung des Unbekannten auf ihn warteten.
Seine Raubzüge führten ihn tief in das Herz Europas. England spürte seine unaufhaltsame Macht ebenso wie das Fränkische Reich. Ragnar war kein gewöhnlicher Plünderer, sondern ein Stratege, der seine Angriffe mit List und Kühnheit plante. Die Küstenstädte Englands wurden seine ersten Ziele – unvorbereitet und schutzlos standen sie den plötzlichen Angriffen seiner Flotte gegenüber. Seine Krieger brannten Klöster nieder, nahmen reiche Beute und hinterließen eine Spur des Schreckens.
Doch sein größter Ruhm erwuchs aus seinem Überfall auf Paris. Mit einer gewaltigen Flotte segelte er die Seine hinauf, die goldene Stadt des Frankenreiches vor Augen. Die Mauern der Stadt waren hoch, doch Ragnars Wille war höher. Seine Krieger belagerten Paris, zwangen die fränkischen Herrscher in die Knie und erpressten hohe Tributzahlungen. Die Christen jener Zeit flüsterten seinen Namen mit Furcht und Priester beteten um göttlichen Schutz vor dem „Geißel der Götter“.
Doch Ragnar war kein Mann, der sich mit Gold und Ruhm begnügte. Sein unbändiger Drang nach Heldentum, sein fester Glaube an das Schicksal und seine eigene Unbesiegbarkeit ließen ihn nach einer letzten großen Herausforderung suchen. Er wusste, dass der Tod unvermeidlich war, doch er wollte nicht als alter Mann in einem weichen Bett sterben – ein solches Ende wäre unwürdig für einen Krieger seines Ranges. Nein, Ragnar wollte einen Tod, der Lieder hervorbringen, Skalden inspirieren und seinen Namen unsterblich machen würde.
In seinem unermüdlichen Streben nach Ruhm wagte er es schließlich, eine Tat zu vollbringen, die ihn für immer in die Sagenwelt der Wikinger eingravieren würde – ein letzter großer Raubzug, eine letzte große Schlacht. Doch der Wille der Götter ist unergründlich, und Ragnars Schicksal führte ihn nicht zum Triumph, sondern zu einer Legende, die noch Jahrhunderte nach seinem Tod erzählt werden sollte.
Das tragische Ende im Schlangengraben
Ragnars letzte Reise führte ihn nach England, an die sturmgepeitschten Küsten Northumbrias. Sein Herz verlangte nach einer letzten großen Tat, einer Herausforderung, die seinen Namen in der Geschichte unvergänglich machen würde. Doch das Schicksal – das Netz der Nornen, das über Götter und Menschen gleichermaßen gesponnen ist – hatte einen anderen Weg für ihn vorgesehen.
Als er mit seiner Flotte landete, ahnte er nicht, dass Verrat und Unglück auf ihn warteten. Seine Männer wurden geschlagen, seine Schiffe zerstört, und schließlich fiel er in die Hände von König Ælla, dem Herrscher von Northumbria. Ælla kannte den Namen Ragnar Lodbrok nur zu gut – er hatte von seinen Raubzügen gehört, von den brennenden Klöstern, den geplünderten Städten und den endlosen Schrecken, die die Nordmänner über sein Land gebracht hatten. Doch nun stand er vor ihm, nicht als Eroberer, sondern als Gefangener, ein gealterter Krieger mit durchlebten Blick und zerzaustem Haar.
Für Ælla war dies die Gelegenheit, dem „Geißel Englands“ ein Ende zu setzen – nicht nur durch den Tod, sondern durch eine Hinrichtung, die so grausam sein sollte, dass sie andere Wikinger davon abschrecken würde, jemals wieder englischen Boden zu betreten. Kein Schwert, keine Axt, kein ehrenhafter Tod auf dem Schlachtfeld sollte Ragnar zuteilwerden. Stattdessen ließ Ælla eine Grube ausheben, tief und dunkel, erfüllt von zischendem Leben.
Ragnar wurde entkleidet, sein geschundener Körper in den Abgrund gestoßen, wo giftige Schlangen auf ihn warteten. Zischend krochen sie auf ihn zu, ihre Bisse durchbohrten seine Haut, das tödliche Gift sickerte in sein Blut. Doch Ragnar schrie nicht. Er flehte nicht um sein Leben.
Mit erhobenem Kopf, mit unbeugsamen Stolz nahm er sein Schicksal an. In seinen letzten Momenten blickte er mit ruhigen Augen in die Dunkelheit und sprach mit fester Stimme Worte, die für die Ewigkeit bestimmt waren:
„Wie die Ferkel quieken würden, wenn sie das Wüten des alten Ebers sehen!“
Es war keine Klage, sondern eine Prophezeiung – eine düstere Vorhersage, dass seine Söhne, die berüchtigten Krieger der nächsten Generation, das Unrecht an ihm rächen würden. Mit diesen Worten besiegelte er nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern auch das von Ælla.
Als sein Körper erschlaffte und sein Geist in die Hallen von Walhalla aufstieg, blieb seine letzte Botschaft in der Luft hängen – ein drohendes Echo, das die Zukunft bestimmen sollte. Denn Ragnar hatte mächtige Söhne, Söhne, die seinen Tod nicht ungesühnt lassen würden. Die Saat der Rache war gesät, und aus ihr würde eine Flut von Blut und Feuer erwachsen, die Northumbria und ganz England erschüttern sollten.
Die Rache der Söhne
Nach Ragnars Tod entbrannte der Zorn seiner Söhne. Sie führten eines der größten Wikingerheere der Geschichte an – das Große Heidnische Heer – und überrannten England mit Feuer und Schwert. Schließlich nahmen sie Ælla gefangen und vollstreckten an ihm das grausame Blutadler-Ritual, eine Hinrichtungsart, die den Körper des Opfers aufschlitzte und die Rippen auseinanderbrach, um die Lungen wie Flügel auszubreiten. Mit dieser Tat besiegelten sie das Erbe ihres Vaters und schufen einen blutigen Mythos, der in den Sagas weiterlebte.
Ragnar als zeitloser Mythos
Ob Ragnar Lodbrok tatsächlich als einzelne historische Figur existierte oder nur eine Zusammenführung mehrerer großer Wikingerführer war, bleibt ungewiss. Doch eines ist sicher: Seine Legende hat die Jahrhunderte überdauert. In den nordischen Sagas wird er als idealer Wikinger dargestellt – ein furchtloser Krieger, ein schlauer Stratege und ein Vater, dessen Vermächtnis durch seine Söhne weiterlebt. Seine Geschichte wurde in unzähligen Erzählungen, Kunstwerken und modernen Adaptionen verewigt, von mittelalterlichen Chroniken bis hin zu Serien wie Vikings. Damit bleibt Ragnar Lodbrok eine Gestalt zwischen Geschichte und Mythologie – ein Symbol für die unbezwingbare Seele der Wikinger, deren Name und Ruhm bis heute nachhallen.
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