Haben die Wikinger Amerika entdeckt? (Mit Video)
- Michael Praher

- 15. Mai
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Aug.

Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
Wenn vom „Entdecker Amerikas“ die Rede ist, denken viele noch immer an Christoph Kolumbus und das Jahr 1492. Doch aus heutiger Sicht ist diese Vorstellung nicht mehr haltbar. Denn rund 500 Jahre zuvor hatten bereits skandinavische Seefahrer amerikanischen Boden betreten – genauer: die nordamerikanische Atlantikküste. Allen voran: Leif Eriksson, der mutige Sohn von Erik dem Roten.
Doch wie genau kam es zu dieser Entdeckung? Was sagen die Quellen, und was belegen archäologische Funde? Und warum hinterließen die Wikinger keine dauerhafte Spur in der Geschichte Amerikas?
Wer war Leif Eriksson?
Leif Eriksson, auch „Leif der Glückliche“ genannt, war der Sohn des bekannten Wikingers Erik des Roten, der im späten 10. Jahrhundert die erste dauerhafte Siedlung auf Grönland gründete. Ausgestattet mit dem Pioniergeist seiner Familie und geleitet von den Erzählungen anderer Seefahrer, machte sich Leif um das Jahr 1000 n. Chr. auf, neue Länder westlich von Grönland zu erkunden.
Die Sagas als Quelle
Unsere wichtigste Quelle für Leifs Reise sind zwei mittelalterliche Texte:
die Grænlendinga saga („Saga der Grönländer“)
die Eiríks saga rauða („Saga von Erik dem Roten“)
Beide beschreiben, wie Leif ein unbekanntes, fruchtbares Land erreichte, das später als Vinland bekannt wurde. Der Name lässt sich als „Weinland“ oder „Wiesenland“ deuten – vermutlich wegen der beschriebenen wilden Trauben oder der üppigen Vegetation.
In den Sagas wird Vinland als geradezu paradiesisch geschildert: mit mildem Klima, reichem Fischfang, Wäldern, Wildtieren – und eben Weinreben, die für Nordmänner besonders wertvoll waren.
L’Anse aux Meadows – Der Beweis auf kanadischem Boden
Lange Zeit galten die Erzählungen über Vinland als mythologisch überhöht – bis ein spektakulärer Fund alles veränderte. Im Jahr 1960 entdeckten die norwegischen Archäologen Helge Ingstad und Anne Stine Ingstad an der Nordspitze Neufundlands (Kanada) eine Siedlung mit eindeutig nordischem Ursprung: L’Anse aux Meadows.
Was wurde gefunden?
Die Ausgrabungen legten unter anderem frei:
Langhäuser mit typischer nordischer Bauweise
Schmiedewerkstätten mit Eisenverarbeitung
Werkzeuge und Artefakte, die denen aus Island und Grönland gleichen
Bootsreparaturplätze, die auf maritime Nutzung hindeuten
Radiokarbon und Dendrochronologie
Bereits früh datierten Radiokarbonmessungen die Funde auf etwa 1000 n. Chr. – exakt zur Zeit Leifs. Doch ein noch genauerer Nachweis gelang erst 2021, als Forscher mithilfe von Dendrochronologie (Jahresringanalyse von Holz) einen Baumring mit einem Sonnensturm im Jahr 993 n. Chr. abgleichen konnten. Die datierten Holzproben belegen: Die Wikinger waren spätestens im Jahr 1021 n. Chr. in Amerika.
Diese Entdeckung gilt heute als der älteste wissenschaftlich belegte europäische Kontakt mit Nordamerika.
Wo genau lag Vinland?
Die archäologisch bestätigte Siedlung L’Anse aux Meadows in Neufundland wird heute als Basislager der Wikinger angesehen – ein logistischer Stützpunkt für weitere Erkundungen südlich der kanadischen Küste. Doch die Sagas beschreiben Vinland nicht als karge Tundra, sondern als fruchtbares Land mit:
Warmen Wintern
Reichem Wildbestand
Wälder mit Nutzholz
Wachsenden Weinreben oder zumindest „weinähnlichen Früchten“
Diese Beschreibungen passen nicht gut zum rauen Klima Neufundlands. Daher glauben viele Forscher, dass Vinland weiter südlich lag – etwa:
in Nova Scotia (Neuschottland)
in New Brunswick (Neubraunschweig)
oder sogar bis nach Neuengland (z. B. Maine oder Massachusetts)
Tatsächlich gibt es Hinweise in den Sagas auf mehrere Orte:Helluland („Steinland“), Markland („Waldland“) und Vinland – möglicherweise Stationen entlang der Küste, auf dem Weg nach Süden.
Begegnungen mit den Skrælingar – Die indigenen Völker Nordamerikas
Ein zentrales Element der Vinland-Sagas sind die Begegnungen mit den sogenannten Skrælingar – so bezeichneten die Wikinger die Ureinwohner, vermutlich Angehörige der Beothuk, Dorset- oder Thule-Kultur. Diese Interaktionen verliefen:
teils friedlich (Handel mit Pelzen und Milchprodukten)
teils gewaltsam (Angriffe und Gegenangriffe auf Wikingerlager)
Die Wikinger verfügten zwar über Waffen und Schiffe, waren den zahlenmäßig überlegenen, ortskundigen Indigenen jedoch strategisch unterlegen. Auch die kulturelle und sprachliche Barriere dürfte ein dauerhaftes Miteinander erschwert haben.
Warum kam es zu keiner dauerhaften Besiedlung?
Obwohl die Wikinger die technischen und nautischen Voraussetzungen für Transatlantikfahrten hatten, blieb Vinland nur ein kurzes Kapitel in der nordischen Geschichte. Warum?
1. Kleine Gruppen, große Distanzen
Die Vinland-Expeditionen bestanden aus kleinen Gruppen. Ohne massive logistische Unterstützung von Grönland oder Island war eine Kolonialisierung nicht umsetzbar. Der Atlantik blieb ein gefährliches Hindernis.
2. Widerstand der indigenen Bevölkerung
Die Ureinwohner verteidigten ihr Territorium mit Nachdruck. In den Sagas wird beschrieben, wie selbst kleinere Konflikte zu blutigen Gefechten führten – mit Toten auf beiden Seiten. Für die Wikinger war ein Rückzug die pragmatischere Lösung.
3. Fehlender wirtschaftlicher Nutzen
Anders als Grönland oder Island bot Vinland keine leicht nutzbaren Ressourcen (etwa für Handel mit Europa). Die aufwendige Überfahrt stand in keinem sinnvollen Verhältnis zum Ertrag.
4. Politische Veränderungen in Skandinavien
Im 11. Jahrhundert begann in Skandinavien die Konsolidierung von Königreichen und die Christianisierung. Fernexpeditionen verloren an Bedeutung, und die kolonialen Außenposten wie Vinland gerieten zunehmend in Vergessenheit.
Die kulturelle Bedeutung der Entdeckung
Obwohl die Wikinger keine dauerhafte Kolonie in Amerika gründeten, ist ihre Ankunft auf dem Kontinent historisch und symbolisch bedeutsam. Sie zeigt:
1. Die Reichweite nordischer Seefahrt
Die Wikinger nutzten keine Kompasse, keine Karten im modernen Sinne – und trotzdem gelang ihnen eine transatlantische Reise, Jahrhunderte vor allen anderen Europäern. Sie orientierten sich an:
dem Stand der Sonne und Sterne
dem Verhalten von Vögeln und Meeresströmungen
den Erfahrungen früherer Fahrten
Ihre Schiffe – insbesondere die Knorr (Handelsschiffe) – waren hochseetauglich und konnten große Distanzen mit schwerer Ladung zurücklegen.
2. Ein Kapitel globaler Entdeckungsreisen
Die Reise nach Vinland war kein isoliertes Ereignis, sondern Teil einer größeren Bewegung:Vom skandinavischen Festland aus besiedelten die Wikinger nach und nach die Färöer, Island, Grönland – und schließlich Nordamerika.Sie waren damit die ersten Europäer, die einen echten Schritt über die Grenzen der bekannten Welt hinaus wagten.
3. Leif Eriksson als Symbolfigur
Heute gilt Leif Eriksson in vielen Ländern als Pionier – insbesondere in den USA und Kanada, wo ihm Denkmäler, Straßennamen und sogar ein eigener Feiertag gewidmet sind:
Leif Erikson Day (9. Oktober) wird in den USA seit 1964 begangen.
In Reykjavik, Boston und Seattle stehen ihm zu Ehren imposante Statuen.
Norwegische und isländische Einwanderer in Nordamerika feiern ihn als Symbol für Entdeckergeist und kulturelle Identität.
Wikinger und Amerika in der Popkultur
Die Geschichte von Vinland hat in der modernen Popkultur viele Spuren hinterlassen:
TV-Serien wie Vikings und Vinland Saga thematisieren die Fahrten Leifs und die Konfrontationen mit indigenen Völkern.
Romane, Comics und Videospiele greifen das Motiv des nordischen Amerika-Abenteuers auf – mal historisch, mal fantasievoll.
Auch in alternativen Geschichtserzählungen spielt die Wikingerlandung eine Rolle – etwa als „verlorene Zivilisation“ oder „vergessene Kolonie“.
Diese Darstellungen mischen oft Fakten und Fiktion. Sie zeigen aber: Der Gedanke, dass die „Wilden Nordmänner“ Amerika erreichten, übt bis heute eine gewaltige Faszination aus.
Zeitleiste: Die Wikinger und Amerika im Überblick
Fazit: Die Wikinger haben Amerika entdeckt – und sie waren ihrer Zeit weit voraus
Die Wikinger haben Amerika entdeckt – wenn auch nur kurz und ohne bleibende Präsenz. Ihre Reisen belegen nicht nur technische Kompetenz und Mut, sondern auch die frühen Verbindungen zwischen den Kontinenten, lange bevor es eine „offizielle“ europäische Entdeckung durch Kolumbus gab.
Was bleibt, ist eine Mischung aus archäologisch belegtem Fakt, mythischer Erzählung und popkultureller Erinnerung. Leif Erikssons Fahrt nach Vinland erinnert uns daran, dass die Geschichte oft komplexer – und spannender – ist, als uns Schulbücher glauben lassen.
FAQ – Häufig gestellte Fragen
Haben die Wikinger wirklich Amerika entdeckt?
Ja, archäologische Funde wie L’Anse aux Meadows belegen, dass Wikinger um das Jahr 1000 n. Chr. Nordamerika erreichten – lange vor Kolumbus.
Wer war Leif Eriksson?
Leif Eriksson war ein nordischer Entdecker und Sohn von Erik dem Roten. Er segelte von Grönland aus nach Vinland, einem Gebiet an der nordamerikanischen Küste.
Was ist Vinland?
Vinland ist der Name, den die Wikinger einem fruchtbaren Land gaben, das sie westlich von Grönland entdeckten – vermutlich in der Region des heutigen Neufundland.
Gab es dauerhafte Wikingersiedlungen in Amerika?
Nein. Die Wikinger errichteten vermutlich nur kurzzeitige Lager. Es kam zu Konflikten mit indigenen Völkern, und die Siedlungen wurden bald wieder aufgegeben.
Wann wurde bewiesen, dass Wikinger Amerika erreichten?
1960 entdeckten Archäologen in L’Anse aux Meadows (Neufundland, Kanada) Überreste einer Wikingersiedlung. 2021 wurde Holz auf das Jahr 1021 datiert – ein eindeutiger Beweis.











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