Wikinger-Helme mit Hörnern? Der größte Mythos aller Zeiten! (Mit Video)
- Michael Praher
- 1. Mai
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Aug.

Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
Wenn man jemanden bittet, einen Wikinger zu zeichnen, sieht das Bild meist so aus: ein kräftiger, bärtiger Krieger mit wildem Blick, Fellumhang – und einem markanten Helm mit zwei mächtigen Hörnern. Dieses ikonische Bild hat sich tief in unser kulturelles Gedächtnis eingebrannt – sei es durch Filme, Cartoons, Halloween-Kostüme oder Sportlogos.
Doch dieses Bild ist eine moderne Erfindung. Historisch betrachtet ist der gehörnte Wikingerhelm nicht nur eine Fehlinterpretation – er ist eine völlige Fantasiegestalt. In Wahrheit trugen Wikinger funktionale Helme ohne jeden Zierrat, die auf Kampf, Schutz und Praktikabilität ausgelegt waren. Woher stammt also dieser Mythos, und warum hält er sich so hartnäckig?
Archäologische Fakten: Was sagen die Funde?
Trotz jahrzehntelanger archäologischer Ausgrabungen in Norwegen, Schweden, Dänemark, Island und auf ehemaligen Wikingersiedlungen in Europa gibt es keinen einzigen Fund eines Wikingerhelms mit Hörnern – weder vollständig noch in Fragmenten. Stattdessen belegen die archäologischen Beweise ein ganz anderes Bild.
Der Gjermundbu-Helm – Einzigartig, schlicht, funktional
Der einzige weitgehend erhaltene Helm aus der Wikingerzeit wurde 1943 im norwegischen Gjermundbu entdeckt. Er stammt aus dem 10. Jahrhundert und war Teil eines reichen Grabfundes. Dieser sogenannte Gjermundbu-Helm gilt als das bisher einzige vollständige Exemplar eines echten Wikingerhelms – und er ist ein Paradebeispiel für Pragmatismus:
Der Helm besteht aus vier Eisensegmenten in Spangenbauweise.
Ein integrierter Nasenschutz schützt die Gesichtspartie.
Es gibt keinerlei dekorative Elemente – keine Verzierungen, keine Hörner.
Dieser Helm war also kein Symbol für Theater oder Mythos, sondern ein Werkzeug zum Überleben in der Schlacht. Der Grabkontext lässt vermuten, dass sein Träger ein wohlhabender Krieger oder Anführer war – denn selbst ein einfacher Helm war im Frühmittelalter ein Luxusgut.
Weitere Funde: Fragmentarisch und schlicht
Neben dem Gjermundbu-Helm gibt es nur eine Handvoll Helmfragmente aus der Wikingerzeit:
Tjele-Fund (Dänemark, 1850): Einzelteile, die vermutlich zu Stirnbügeln oder Nasenschützern gehörten.
Gotland-Funde: Ebenfalls fragmentarisch, ohne gesicherte Rekonstruktion möglich.
Keines dieser Fundstücke deutet auf Hörner, Halterungen oder dekorative Aufsätze hin. Alle deuten auf nüchterne, funktionale Schutzhelme aus Eisen. Der Grund: Metall war knapp, und Waffen wie Schwert oder Helm waren kostspielige Besitztümer, meist nur für wohlhabende Krieger zugänglich.
Helme waren ein Luxusgut – und nicht weit verbreitet
Die Vorstellung, dass jeder Wikinger in eiserner Rüstung mit Helm kämpfte, ist ein modernes Missverständnis. In Wahrheit waren viele Kämpfer – insbesondere einfache Bauern auf Raubzug – ohne metallischen Kopfschutz unterwegs.
Eisen war im Frühmittelalter ein wertvoller Rohstoff, dessen Verarbeitung Spezialisten erforderte. Selbst eine einfache Eisenklinge war ein Statussymbol. Viele Wikinger schützten ihren Kopf daher eher mit:
Lederkappen
gefütterten Stoffhauben
Kettenhauben (Byrnies)
Kettenhauben waren zwar ebenfalls teuer, aber oft leichter herzustellen als ein vollständiger Helm und schützten flexibel den Hals-, Nacken- und teilweise den Kopfbereich.
Warum Hörner im Kampf Unsinn gewesen wären
So imposant gehörnte Helme auch aussehen mögen – auf einem echten Schlachtfeld wären sie nichts weiter als eine gefährliche Schwachstelle. Jeder, der je in einer Nahkampfsituation war, weiß: Überflüssiger Zierrat ist nicht nur unnötig, sondern potenziell tödlich.
Angriffsfläche und Verletzungsrisiko
Ein Helm mit Hörnern hätte in der Schlacht nur Nachteile gebracht:
Hörner bieten Angriffsfläche: Ein Gegner könnte daran ziehen, um das Gleichgewicht zu stören oder den Träger zu Boden zu reißen.
Verfangen in Gedrängen: In Formationen wie dem Schildwall wäre das Risiko hoch, mit den Hörnern an Schilden, Äxten oder Mitkämpfern hängen zu bleiben.
Verletzungsgefahr für den Träger selbst: Eine abrutschende Waffe könnte durch ein Horn abgelenkt werden und den Hals treffen.
Einschränkung von Beweglichkeit und Sicht
Wikinger kämpften oft in engen, chaotischen Situationen – auf Schiffen, beim Entern oder bei schnellen Überraschungsangriffen auf Küstenorte. In solchen Gefechten zählte Wendigkeit:
Hörner hätten das Sichtfeld eingeschränkt und die Kopfdrehung behindert.
Sie wären bei Sturm oder Bewegung windanfällig gewesen – und hätten so das Gleichgewicht gestört.
Auch das Gewicht (selbst bei leichter Bauweise) hätte zu einer Asymmetrie geführt, die im Nahkampf hinderlich gewesen wäre.
Kein Platz für Show – Taktik war entscheidend
Die moderne Vorstellung vom „brüllenden Berserker“ ist romantisiert. In Wirklichkeit verfügten viele Wikinger über disziplinierte Kampftechniken:
Der Schildwall (Skjaldborg): Eine dichte Formation, bei der Übersicht und Koordination wichtiger waren als Imponiergehabe.
Überraschungsangriffe: Die Wikinger setzten auf Tempo und Taktik – nicht auf Showelemente.
Adaption fremder Kriegsführung: In Gefechten gegen Franken oder Angelsachsen nutzten Wikinger oft deren Formationen – auch diese Kulturen kannten keine Hörnerhelme.
Fazit: Hörner auf einem Helm wären für einen echten Wikinger keine Zeichen von Stärke gewesen, sondern von Dummheit – oder von Theater.
Die wahren Ursprünge des Mythos
Wenn es also keine archäologischen Beweise für Hörnerhelme gibt und sie im Kampf unsinnig wären – woher stammt dann dieses Bild?
Die Antwort liegt im 19. Jahrhundert, einer Zeit des romantischen Nationalismus, der Wiederentdeckung der nordischen Vergangenheit – und der Opernbühne.
Der Einfluss Richard Wagners
Einer der einflussreichsten Mythenbegründer war Richard Wagner mit seinem monumentalen Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“. Zwar basiert dieser auf germanischen und nordischen Motiven, aber Wagner schuf eine mythisch überhöhte Kunstwelt – nicht historisch belegte Realität.
Für die Uraufführung 1876 in Bayreuth entwarf der Kostümbildner Carl Emil Doepler die ikonischen gehörnten Helme – getragen von Walküren und Göttern. Doepler wusste zwar, dass diese historisch nicht korrekt waren, entschied sich aber aus ästhetischen Gründen dafür. Der Effekt war überwältigend: Diese Helme sahen dramatisch aus, wirkten „nordisch“ und archaisch – und wurden zum Symbol.
Der Mythos wird populär
Schon bald griffen Maler, Illustratoren und Schriftsteller das Motiv auf. Spätestens mit der Verbreitung des Wagner’schen Stils in Musik, Theater und Illustration war die Figur des gehörnten Wikingers geboren – nicht in Skandinavien, sondern auf den Bühnen und in den Büchern Europas.
Archäologische Missverständnisse
Zusätzlich kam es zu einer Reihe früher Fehldeutungen in der Archäologie: Helme aus der Bronzezeit mit tierischen Symbolen – etwa die Veksø-Helme aus Dänemark – wurden fälschlich der Wikingerzeit zugeschrieben. Dabei stammen sie aus der Zeit um 900 v. Chr., also über 1500 Jahre vor den Wikingern. Diese Helme dienten vermutlich zeremoniellen oder kultischen Zwecken, nicht dem Kampf.
Popkultur als Verstärker des Mythos
Während der Hörnerhelm im 19. Jahrhundert erfunden wurde, verdankt er seinen globalen Siegeszug der Popkultur des 20. und 21. Jahrhunderts. Kein anderes Symbol hat sich so tief in die Vorstellung vom „Wikinger“ eingebrannt – trotz aller historischen Belege dagegen.
Comics, Zeichentrick und Kinderbücher
Der Mythos vom gehörnten Wikinger wurde besonders durch Comics und Zeichentrickserien verbreitet:
„Asterix & Obelix“: Die Gallier tragen oft Helme mit Flügeln oder Hörnern – ein fantasievoller Mix historischer Klischees. Ihre Wikinger-Gegner wirken archaisch und martialisch.
„Wickie und die starken Männer“ (1970er): Die beliebte Kinderbuchverfilmung zeigt Wikinger mit freundlich stilisierten Hörnerhelmen – was bis heute das Bild vieler Kinder von „echten Wikingern“ prägt.
Diese Darstellungen richteten sich zwar nie nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, hatten aber großen Einfluss auf die kollektive Vorstellung – und das international.
Filme, Fantasy und Superhelden
Auch moderne Filme und Serien griffen den Mythos gerne auf – nicht zuletzt, weil er visuell stark und sofort erkennbar ist:
Marvels „Thor“: Obwohl der Donnergott meist keinen Hörnerhelm trägt, bedienen viele Nebenfiguren – etwa Loki oder andere Asen – die klischeehafte Ikonografie.
„Der Herr der Ringe“, „Conan der Barbar“, „Vikings“: Auch wenn nicht alle Figuren Wikinger sind, übernehmen sie oft deren ästhetische Codes – einschließlich gehörnter Helme zur Darstellung von Wildheit oder archaischer Kraft.
Videospiele
Digitale Spiele verstärken visuelle Mythen durch ihre immersive Wirkung:
„The Elder Scrolls V: Skyrim“ (2011): Der „Drachenblut“-Held wird auf dem Cover mit einem ikonischen Hornhelm dargestellt – obwohl dieser im Spiel gar nicht zwingend verwendet wird.
„World of Warcraft“, „God of War“, „Assassin’s Creed: Valhalla“: Die Wikinger-Ästhetik wird häufig durch Fantasieelemente ergänzt – Hörner inklusive.
Sport, Tourismus und Merchandise
Auch außerhalb der Unterhaltungsindustrie hat sich der Mythos etabliert:
Minnesota Vikings (NFL): Das Logo des Football-Teams zeigt einen Wikinger mit Hörnern – kraftvoll, aggressiv, wiedererkennbar.
Souvenirshops in Skandinavien: Ironischerweise verkaufen ausgerechnet Länder mit archäologischer Expertise über Wikinger Plastikhelme mit Hörnern – als beliebtes Andenken für Touristen.
Karneval, Halloween, Mittelaltermärkte: Der Hörnerhelm gehört zum Standard-Repertoire in der Populärkultur.
Warum der Mythos so gut funktioniert
Die Beharrlichkeit des Mythos hat nicht nur kulturelle, sondern auch psychologische Gründe. Das Symbol des gehörnten Wikingerhelms erfüllt wichtige Funktionen – unabhängig von der historischen Wahrheit.
Symbolik der Hörner
Hörner haben seit jeher eine starke kulturelle Bedeutung:
Stärke und Wildheit: Wie bei Stieren, Widdern oder Hirschen gelten Hörner als Zeichen für Macht, Aggression und Virilität.
Dämonisches oder Animalisches: In der christlichen Ikonografie stehen Hörner auch für das „Unzivilisierte“, das Unheilvolle.
Andersartigkeit und Rebellion: Der Hörnerhelm signalisiert eine bewusste Abgrenzung von der „zivilisierten Welt“ – ideal für die Darstellung von Rebellen, Barbaren oder Außenseitern.
Einprägsamkeit schlägt Genauigkeit
In der modernen Medienlandschaft zählt visuelle Klarheit oft mehr als historische Präzision:
Ein Hörnerhelm ist sofort erkennbar.
Er vermittelt eine Rolle (Krieger, Barbar, Fremder) auf den ersten Blick.
Er ist ideal für Logos, Werbung, Spielfiguren, Karikaturen – weil er keine Erklärung braucht.
Gerade in einer Welt voller Reizüberflutung setzen sich einfache, kraftvolle Symbole durch – und genau das bietet der Hörnerhelm.
Fazit: Ein Mythos mit langer Nachwirkung
Der gehörnte Wikingerhelm ist ein Produkt der Kunst und Fantasie, nicht der Archäologie. Weder die Funde aus der Wikingerzeit noch das taktische Denken der Nordmänner geben irgendeinen Hinweis darauf, dass Helme mit Hörnern getragen wurden – im Gegenteil: Alles spricht dagegen.
Und doch hat sich das Bild des Hörnerhelms in der Popkultur festgesetzt. Es ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Mythen entstehen, sich verselbstständigen und zu kulturellen Wahrheiten werden, obwohl sie auf Irrtümern, künstlerischer Freiheit oder romantischer Sehnsucht beruhen.
Wenn du also das nächste Mal einen „Wikinger“ mit Hörnern siehst – sei es im Film, im Souvenirshop oder beim Karneval –, dann weißt du: Du schaust nicht auf einen Krieger des 9. Jahrhunderts, sondern auf ein Symbol, das auf einer Opernbühne des 19. Jahrhunderts geboren wurde.
FAQ – Häufige Fragen zum Mythos der Wikinger-Helme mit Hörnern
Gab es jemals Wikingerhelme mit Hörnern?
Nein. Es gibt keinen einzigen archäologischen Fund aus der Wikingerzeit (ca. 8.–11. Jahrhundert), der den Mythos des Wikinger-Helm mit Hörnern stützen würde. Alle bekannten Funde – wie der Gjermundbu-Helm – sind funktionale Kriegshelme ohne Zierde.
Warum glauben viele Menschen, Wikinger hätten Hörnerhelme getragen?
Dieser Mythos entstand im 19. Jahrhundert, insbesondere durch Wagners Opern und deren Bühnenkostüme. Seitdem wurde das Bild durch Kunst, Theater, Comics, Filme und Spiele weltweit verbreitet.
Gab es jemals Helme mit Hörnern in Europa?
Ja, aber viel früher: Zur Zeit der nordeuropäischen Bronzezeit (ca. 1500–500 v. Chr.) gab es zeremonielle Helme mit Hörnern – wie die berühmten Veksø-Helme aus Dänemark. Diese hatten jedoch keine Verbindung zur Wikingerzeit.
Trugen alle Wikinger Helme?
Wahrscheinlich nicht. Eisen war teuer, und Helme waren kostspielig. Viele einfache Krieger kämpften vermutlich ohne Helm oder mit Leder- und Stoffkappen. Helme waren meist wohlhabenden Kriegern oder Anführern vorbehalten.
Warum halten sich solche Mythen so hartnäckig?
Weil sie stark, einfach und einprägsam sind. Hörner symbolisieren Wildheit, Stärke und das Fremdartige. In Film und Werbung ist ein solcher Helm ein visuelles „Shortcut“ für den Begriff „Wikinger“ – unabhängig von der Wahrheit.
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