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Wikingerkleidung im Faktencheck: Was trugen die Nordmänner wirklich?

  • Autorenbild: Michael Praher
    Michael Praher
  • 21. Juni
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 12. Aug.

Darstellung historisch korrekter Wikingerkleidung im Vergleich zum modernen Klischee mit Hörnerhelm – was Wikinger wirklich trugen

Inhaltsverzeichnis:

🔸 Fazit

Einleitung

Wenn wir heute an Wikinger denken, sehen wir oft wilde Krieger mit gehörnten Helmen, Tierfellen und ledernen Rüstungen – ein Bild, das vor allem durch Filme, Serien und Rollenspiele geprägt wurde. Doch wie kleideten sich die Wikinger tatsächlich? Welche Kleidungsstücke lassen sich archäologisch belegen – und was ist reine Fantasie? In diesem Beitrag nehmen wir die Wikingerkleidung genau unter die Lupe und zeigen dir, wie Alltag, Status und Klima den Kleidungsstil im hohen Norden prägten.

Historische Quellen und archäologische Funde

Unsere Informationen über Wikingerkleidung stammen aus verschiedenen Quellen:


  • Grabfunde wie in Birka (Schweden), Hedeby (Deutschland) oder Oseberg (Norwegen).

  • Schriftquellen wie die altnordischen Sagas oder Berichte arabischer Reisender (z. B. Ibn Fadlan).

  • Textilfunde (teils nur Fasern oder Gewebespuren) in Torf, Moor oder Gräbern.

  • Bildliche Darstellungen auf Runensteinen, Holzschnitzereien oder Wandteppichen.


Was sofort auffällt: Es gibt keine einheitliche "Wikingerkleidung". Sie variierte je nach Region, Geschlecht, sozialem Stand und Funktion.

Kleidung der Wikinger im Alltag


Männerkleidung

Darstellung eines Wikinger Mannes in traditioneller Kleidung
Darstellung eines Wikinger Mannes in traditioneller Alltagskleidung.

Typische Bestandteile:

  • Tunika (Kyrtill): Ein knielanges, langärmeliges Obergewand aus Wolle oder Leinen.

  • Hose: Meist locker geschnitten, teilweise mit Beinwickeln fixiert.

  • Unterhemd (Serk) aus Leinen: Wurde unter der Tunika getragen.

  • Mantel (Skikkja): Überwurf aus Wolle, oft mit Fibel (Brosche) über der Schulter befestigt.

  • Beinlinge oder Gamaschen: Besonders in kälteren Gegenden verbreitet.

  • Schuhe: Aus einfachem Leder, oft mit Lederschnüren verschlossen.


Frauenkleidung

Darstellung einer Wikinger Frau in traditioneller Kleidung
Darstellung einer Wikinger Frau in traditioneller Kleidung.

Typische Bestandteile:

  • Unterkleid (Serk): Aus Leinen, bodenlang.

  • Schürzenkleid (Smokkr): Ärmelloses Überkleid, mit Schildfibeln an den Schultern befestigt.

  • Mantel oder Umhang, ebenfalls mit Fibel getragen.

  • Kopfbedeckungen: Tücher oder Hauben, besonders bei verheirateten Frauen.

  • Schmuck: Broschen, Perlenketten, kleine Werkzeuge wie Scheren oder Nadeln am Gürtel.

Materialien und Farben: Praktisch, aber auch dekorativ

Die Kleidung der Wikinger war kein einheitliches Erscheinungsbild von grauen Leinenhemden und rauen Tierhäuten, wie es das moderne Klischee oft nahelegt. Vielmehr kombinierte sie praktische Funktionalität mit handwerklicher Raffinesse – abhängig von Klima, Verfügbarkeit, gesellschaftlichem Rang und regionaler Mode. Besonders auffällig: Auch in einer rauen Umgebung wie Skandinavien im Frühmittelalter legte man Wert auf Farbe, Muster und Verzierungen.


Verwendete Materialien


Wolle – das Grundmaterial nordischer Kleidung

Wolle war zweifellos das wichtigste Textilmaterial. Schafe waren in Skandinavien weit verbreitet, und ihre Wolle ließ sich problemlos zu warmen, robusten Stoffen verarbeiten. Wolle isoliert selbst im feuchten Zustand, was in den oft nassen und kalten Regionen Skandinaviens überlebenswichtig war.

Besonders bemerkenswert: Verschiedene Webtechniken wie Fischgrät, Diamantköper oder Leinwandbindung ermöglichten nicht nur wetterfeste Stoffe, sondern auch elegante Muster. In besser ausgestatteten Gräbern wurden oft Kleidungsstücke aus feiner, dicht gewebter Wolle gefunden – Zeichen von Reichtum und sozialem Status.


Leinen – leicht, kühl und fein

Leinen wurde vor allem aus Flachs gewonnen und eignete sich perfekt für Unterkleidung, weil es leichter und hautfreundlicher war als Wolle. Da Flachs jedoch nicht überall in Skandinavien wuchs, war Leinen etwas teurer und wurde häufig importiert oder als Handelsware behandelt. In adeligen Gräbern wurden sogar feinste Leinengewebe mit bis zu 30 Fäden pro Zentimeter gefunden – vergleichbar mit heutiger Bettwäsche.


Pelz und Fell – wärmend und prestigeträchtig

Besonders in den nördlichen Regionen oder im Winter war Pelz unverzichtbar. Bären-, Fuchs-, Otter- und Luchsfelle wurden sowohl für wattierte Innenfutter als auch als dekorative Besätze an Mänteln verwendet. Pelz war allerdings auch ein Statussymbol – nicht jeder konnte sich exotischere Felle leisten.


Leder – vielseitig und robust

Leder wurde für Schuhe, Gürtel, Handschuhe, Taschen, Mützen und manchmal sogar Jacken genutzt. Es war wetterfest und durch Räuchern oder Gerben haltbar gemacht. Auch Riemenverschlüsse oder verstärkte Kragenelemente bestanden oft aus Leder.


Farben der Wikingerkleidung: Bunter als gedacht

Die Vorstellung, Wikinger hätten sich nur in Grau, Braun oder Naturtönen gekleidet, ist ein moderner Mythos. Tatsächlich zeigen Funde und Rekonstruktionen, dass färbige Kleidung üblich war – sofern man sich die Färbung leisten konnte.


Pflanzenfarben: Handwerkliche Vielfalt

Die Wikinger nutzten eine breite Palette an natürlichen Färbemitteln, die entweder regional gesammelt oder im Fernhandel bezogen wurden:


  • Waid (Isatis tinctoria): Ergab verschiedene Blautöne, von Grau-Blau bis Dunkelblau.

  • Krapp (Rubia tinctorum): Aus der Wurzel gewonnen, lieferte intensive Rottöne, von Rosa bis Weinrot.

  • Birkenrinde, Walnussschalen, Erlenrinde: Dienten zur Herstellung von Braun- und Gelbtönen.

  • Rainfarn, Schafgarbe, Goldrute: Häufige Quellen für gelbe Farbstoffe.

  • Färberwaid und Indigo: Für besonders kräftige Blautöne, teils importiert.


Statusfarben: Purpur und Co.

Farben wie Purpur oder tiefes Schwarz waren extrem teuer, da sie nur mit großem Aufwand oder aus südlichen Regionen beschafft werden konnten (z. B. aus Purpurschnecken oder importierter Kohle). Diese Farben waren Eliten und Anführern vorbehalten – etwa Fürsten, Jarlen oder reichen Händlerfamilien.


Mehrfarbige Kleidungsstücke

Einige Textilfunde – z. B. aus dem berühmten Oseberg-Schiff – deuten auf mehrfarbige Kleidung hin. Die Kombination verschiedenfarbiger Stoffstreifen oder das Einnähen kontrastreicher Bordüren war offenbar beliebt, besonders bei festlicher oder repräsentativer Kleidung. Bordüren wurden oft mit Pflanzenmustern, geometrischen Motiven oder Tierfiguren bestickt.

Kleidung in Schlacht und Ritual


Helme: Schutz ja – Hörner nein

Der häufig kolportierte gehörnte Helm gehört ins Reich der Mythen. Er wurde durch romantische Kunst des 19. Jahrhunderts und moderne Fantasy erfunden – aber kein archäologischer Fund belegt jemals einen Helm mit Hörnern im skandinavischen Raum.

Der einzige vollständig erhaltene Wikingerhelm stammt aus dem Grab von Gjermundbu in Norwegen (10. Jh.).

Der Gjermundbu-Helm ist ein Helm aus Norwegen. Er gehört zu der Gruppe der Brillenhelme oder nordischen Kammhelme.
Von Wolfmann - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=87988520

Dieser bestand aus:

  • einer runden Kuppel aus Eisenplatten,

  • einem integrierten Nasenschutz,

  • vermutlich einem Nackenschutz aus Leder oder Kettengeflecht (nicht erhalten).


Weitere Fragmentfunde weisen auf ähnliche, schlichte Formen hin – funktional, nicht dekorativ.


Kettenhemden: Wertvoll und elitär

Kettenhemden existierten zur Wikingerzeit, doch sie waren extrem aufwendig in der Herstellung: Für ein vollständiges Hemd benötigte man tausende eiserne Ringe, die alle per Hand geschmiedet und vernietete wurden. Entsprechend waren sie selten und meist Adligen, reichen Kriegern oder Anführern vorbehalten.


  • Einige archäologische Hinweise stammen aus Birka und Gotland.

  • Im angelsächsischen Raum waren Kettenhemden verbreiteter – hier lassen sich auch Einflüsse erkennen.


Für den „gewöhnlichen“ Wikingerkrieger war ein Kettenhemd oft unerschwinglich.


Lederrüstung: Historisch nicht belegt

Lederrüstungen, wie sie in Filmen oft zu sehen sind (z. B. Mieder mit Schnallen, Schulterschutz etc.), sind weitgehend Fantasieprodukte. Archäologische Nachweise dafür fehlen fast vollständig. Zwar nutzte man Leder für Schuhe, Gürtel und Taschen, doch als primärer Körperschutz ist Leder im skandinavischen Befund nicht nachgewiesen.

Eventuell wurde gehärtetes Leder als Zusatzschicht über normaler Kleidung verwendet – doch das bleibt Spekulation.


Schilde: Standardausrüstung eines Kriegers

Der Schild war die gängigste Verteidigungswaffe und ist in zahlreichen Funden belegt. Typische Merkmale:


  • Runde Form, etwa 80–100 cm Durchmesser.

  • Holzkern (meist aus Linde, Erle oder Pappel) – leicht, aber stabil.

  • Mit Leder bespannt oder bemalt – Schutz gegen Feuchtigkeit und zur Zierde.

  • Metallene Schildbuckel in der Mitte zum Schutz der Hand.


In der Schildmauer („Skjaldborg“) konnten Krieger so kollektiven Schutz aufbauen – ähnlich einer römischen Phalanx.


Kleidung im Ritual: Symbolik, Macht und Anderswelt

Nicht nur im Krieg, sondern auch in spirituellen oder kultischen Handlungen spielte Kleidung eine zentrale Rolle – insbesondere bei Priesterinnen, Seherinnen und Magiern.


Seiðr-Zauberinnen: Kleidung als Zeichen der Anderswelt

Einige der auffälligsten Grabfunde stammen von weiblichen Figuren mit mutmaßlich magischer Funktion – sogenannten Seiðr-Zauberinnen oder Völven. Diese Frauen waren spirituelle Mittlerinnen zwischen den Welten, mit Kenntnissen in Wahrsagung, Heilkunst und Ritualmagie.


In Gräbern wie in Oseberg (Norwegen) oder Fyrkat (Dänemark) fanden sich:


  • reich verzierte Gewänder mit Gold- oder Silberfäden,

  • Knochenstäbe oder Zauberstäbe (möglicherweise Seiðr-Stäbe),

  • ausländische Accessoires (z. B. arabische Glasperlen, Seidenfragmente),

  • besondere Grabbeigaben, wie Tiere oder Kutschen.


Diese Funde deuten auf eine besondere soziale und spirituelle Rolle hin, deren Kleidung wahrscheinlich auch Rituale, Ränge oder Symbolik widerspiegelte.


Kultische Kleidung für bestimmte Anlässe

Auch bei heiligen Festen, Thing-Versammlungen oder Bestattungsritualen könnte es spezielle Kleidungsstücke gegeben haben – etwa:


  • bestickte Umhänge mit Runen oder Tierornamenten,

  • besondere Gürtel oder Amulette,

  • rituelle Kopfbedeckungen oder Stirnbänder.


Leider sind solche Kleidungsarten schwer zu belegen, da textile Materialien nur unter besonderen Bedingungen erhalten bleiben. Doch die Häufung wertvoller Stoffe und kunstvoller Accessoires in bestimmten Gräbern legt nahe, dass Kleidung im spirituellen Kontext weit über das Alltägliche hinausging.

Mystisches Banner mit den Raben Hugin und Munin eingraviert auf Holz.

Moderne Mythen über Wikingerkleidung


Gehörnte Helme

Ein Produkt des 19. Jahrhunderts, besonders der Opernkostüme Richard Wagners. Kein archäologischer Beweis existiert.


Tierfell-Mantelträger

Fell wurde getragen – aber selten so exzessiv, wie es in modernen Serien wie Vikings oder Assassin’s Creed Valhalla gezeigt wird. Die Darstellung dient oft der Dramatisierung.


Einheitliche „Wikinger-Uniform“

Falsch. Kleidung war funktional, regional verschieden und sozial codiert – ein Bauer trug anderes als ein Häuptling.

Einfluss auf moderne Mode und Reenactment


Die Wikingerzeit beeinflusst bis heute:

  • LARP und Reenactment-Szene: Immer historisch fundierter – von Fibeln bis Webtechniken.

  • Tattoos und Streetwear: Wikinger-Symbole als Modetrend.

  • Nordic-Fantasy: In Spielen, Serien und Film werden echte Elemente kreativ „interpretiert“.

Fazit

Die Kleidung der Wikinger war geprägt von Pragmatismus, Klima und gesellschaftlicher Stellung – nicht von Hollywood-Klischees. Statt Fellrüstungen und Hörnerhelmen bestimmten Wolle, Leinen und praktische Schnitte das Bild. Heute hilft uns eine Kombination aus Archäologie und experimenteller Archäologie, ein immer klareres Bild davon zu zeichnen, wie sich die Menschen im Norden wirklich kleideten.

FAQ: Häufige Fragen zur Wikingerkleidung

Trugen die Wikinger Hörnerhelme?

Nein – es gibt keine historischen Belege dafür.

War Wikingerkleidung farbig oder eher eintönig?

Farbige Kleidung war möglich, besonders bei Wohlhabenden. Färbepflanzen waren bekannt und genutzt.

Gab es Unterschiede zwischen Männer- und Frauenkleidung?

Ja – z. B. das Tragen von Schürzenkleidern und spezifischen Fibeln bei Frauen.

Gab es Rüstungen?

Kettenhemden und einfache Helme ja – aber sie waren teuer und selten.

Was sagt Schmuck über die Kleidung aus?

Er diente nicht nur der Zierde, sondern war auch ein Statussymbol und Zeichen für Handelskontakte.


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