Yggdrasil – Der Weltenbaum der nordischen Mythologie
- Michael Praher

- 8. Mai
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Aug.

Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
In der nordischen Mythologie ist kaum ein Symbol so zentral, geheimnisvoll und kraftvoll wie Yggdrasil, der Weltenbaum. Er steht im Zentrum des Kosmos, verbindet die neun Welten und hält das Gleichgewicht zwischen Leben und Tod, zwischen Ordnung und Chaos. Yggdrasil ist nicht nur ein mythologisches Bild – er ist das Gerüst der gesamten nordischen Weltanschauung. Dieser Beitrag beleuchtet die Herkunft, Symbolik und Bedeutung dieses gigantischen Baumes, der bis heute fasziniert.
Ursprung und Quellen: Woher kennen wir Yggdrasil?
Die wichtigsten Quellen für unser Wissen über Yggdrasil sind die Edda-Dichtungen – insbesondere die Lieder-Edda (auch „Ältere Edda“ genannt) und die Snorra-Edda (auch „Jüngere Edda“, verfasst von Snorri Sturluson im 13. Jahrhundert). In diesen Texten wird Yggdrasil als immergrüner Eschenbaum beschrieben, der das gesamte Universum durchzieht.
In der Völuspá, einem der ältesten Gedichte der nordischen Dichtung, heißt es:
"Ein Eschenbaum weiß ich, Yggdrasil heißt er,hoch steht er, feucht von hellem Tau;von dort kommt der Tau, der in Tälern fällt –ewig grün steht er über Urds Quelle."
Diese poetische Beschreibung zeigt Yggdrasil als lebendigen, zentralen Teil der Schöpfung – als ein Wesen, das atmet, leidet und wächst.
Die Struktur der Welt: Yggdrasils neun Welten
Yggdrasil ist keine bloße Pflanze – er ist das kosmische Gerüst, auf dem die gesamte nordische Weltordnung ruht. Seine Äste, Wurzeln und Stamm verbinden und trennen zugleich die neun Welten der nordischen Kosmologie:
Asgard – Sitz der Götter (Æsir)
Midgard – Welt der Menschen
Vanaheim – Heimat der Wanen-Götter
Jötunheim – Reich der Riesen
Alfheim – Welt der Lichtalben (Elfen)
Svartalfheim (oder Nidavellir) – Wohnort der Zwerge
Muspelheim – Feuerreich, Ursprung der Zerstörung
Niflheim – Eisreich, Ursprung des Todes
Helheim – Totenreich unter der Erde
Die Wurzeln Yggdrasils reichen in diese Welten hinein und verbinden sie miteinander. Drei besondere Wurzeln sind dabei von zentraler Bedeutung:
Eine reicht nach Asgard, wo sie an Urds Brunnen liegt – dem Ort der Schicksalsgöttinnen (Nornir).
Eine führt nach Jötunheim, dem Reich der Riesen, wo der Brunnen Mímisbrunnr liegt – Quelle der Weisheit.
Eine endet in Niflheim, beim Brunnen Hvergelmir, aus dem alle Flüsse der Welt entspringen und in dem der Drache Níðhöggr haust.
Symbolik: Was bedeutet Yggdrasil?
Yggdrasil ist mehr als ein Weltenbaum – er ist ein Sinnbild für das Leben selbst, mit all seinen Höhen, Tiefen, Verbindungen und Widersprüchen.
🌱 Wachstum und Leben
Seine immergrünen Zweige zeigen ständige Erneuerung, sein Saft nährt die Welten, sein Schatten schützt sie. Er steht für die Kraft der Natur, die alles durchdringt und alles miteinander verbindet.
⚖️ Schicksal und Ordnung
Die Nornir (Urd, Verdandi, Skuld) sitzen am Fuße des Baumes und weben dort das Schicksal aller Wesen. So wird Yggdrasil zum Symbol für die unausweichliche Ordnung des Kosmos, für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
🐉 Bedrohung und Verfall
Yggdrasil leidet – an seinem Stamm nagt der Drache Níðhöggr, an seinen Ästen zerren Hirsche, in seiner Krone streiten sich ein Adler und ein Habicht, während ein Eichhörnchen die Zwietracht zwischen ihnen nährt. Diese Bildsprache zeigt: Selbst das größte System ist von innerem Verfall bedroht. Nichts ist ewig – auch Yggdrasil wird sterben, wenn Ragnarök kommt.
Yggdrasil im Ragnarök: Der Untergang der Ordnung
In der nordischen Mythologie gibt es keine Unsterblichkeit. Auch Yggdrasil wird im Ragnarök, dem Weltuntergang, erschüttert werden. Die Edda beschreibt:
„Zittert Yggdrasils Esche,Es stöhnt der Baum,der alte, heilige Baum.“
Seine Erschütterung ist Vorbote des Untergangs. Und doch überlebt ein Teil von ihm: Zwei Menschen, Líf und Lífthrasir, retten sich in einen Hain im Innern des Baumes und begründen nach dem Ende der Welt eine neue Menschheit. Yggdrasil steht also auch für Hoffnung und Neubeginn – nach Chaos und Zerstörung.
Tiere auf Yggdrasil – Wesen des Gleichgewichts (und Konflikts)
Yggdrasil ist von symbolischen Tieren bevölkert, die alle bestimmte Kräfte verkörpern:
Níðhöggr – ein Drache, der die Wurzeln des Baumes zerfrisst. Symbol für Zerstörung und das Böse.
Vier Hirsche – Dain, Dvalin, Duneyr und Dyrathrór – fressen die Knospen des Baumes. Sie verkörpern die ständige Erneuerung durch Konsum.
Ein Adler – sitzt in der Krone Yggdrasils, Symbol für Macht und Weitblick.
Vedrfolnir – ein Habicht, der zwischen den Augen des Adlers lebt.
Ratatoskr – ein freches Eichhörnchen, das zwischen Adler und Drache Nachrichten übermittelt – meist spöttische Beleidigungen. Symbol für Zwietracht und Kommunikation.
Diese Wesen spiegeln die Dynamik der Welt wider: Aufbau und Abbau, Harmonie und Streit – ein ständiger Kreislauf.
Moderne Bedeutung: Yggdrasil heute
Yggdrasil hat seine mythische Kraft nie verloren. Heute erscheint der Weltenbaum in:
Fantasy-Romanen und Spielen (z. B. „God of War“, „Assassin’s Creed Valhalla“, „Final Fantasy“)
Musik und Symbolik der Neopagan-Bewegung
Tätowierungen, Schmuck, Mode – meist als Ausdruck für Verbundenheit mit der Natur oder spirituelles Wachstum
Wissenschaft und Philosophie – als Bild für Netzwerke, Systeme und ökologische Zusammenhänge
Besonders in der Umweltbewegung wird Yggdrasil gerne als Symbol für den „Baum des Lebens“ verstanden – als Ausdruck eines universellen, ganzheitlichen Weltbilds.
Verwandte Begriffe & Parallelen
Weltenbaum-Motive finden sich weltweit – z. B. in der mesopotamischen Mythologie, im Hinduismus (Ashvattha-Baum), bei den Maya oder im Christentum (Baum der Erkenntnis).
Der Name „Yggdrasil“ bedeutet wörtlich wohl „Ross (Pferd) des Schrecklichen“ – eine poetische Umschreibung für Odins Galgen. Odin hing neun Nächte am Baum, um die Runenweisheit zu erlangen.
Der Runen-Mythos und Yggdrasil sind eng verbunden – der Baum ist auch ein Symbol für Erkenntnis durch Opfer.
Zeitleiste: Mythologische Stationen Yggdrasils
Fazit: Yggdrasil – Sinnbild einer vielschichtigen Welt
Yggdrasil ist mehr als Mythologie – er ist ein Symbol für das Geflecht des Lebens selbst. Er steht für Verbundenheit, Wachstum, Ordnung und Chaos zugleich. In einer Welt, die immer komplexer wird, bleibt der Weltenbaum ein kraftvolles Bild dafür, dass alles mit allem verbunden ist – und dass selbst im Untergang neues Leben wurzeln kann.
Hat dich die Geschichte Yggdrasils fasziniert? Teile den Artikel oder hinterlasse einen Kommentar – und begleite uns auf unserer Reise durch die faszinierende Welt der nordischen Mythologie!
FAQ: Häufig gestellte Fragen zu Yggdrasil
🔹 Was bedeutet der Name „Yggdrasil“?
Der Name „Yggdrasil“ wird meist als „Ross (Pferd) des Schrecklichen“ übersetzt – wobei „Yggr“ ein Beiname Odins („der Schreckliche“) ist, und „drasill“ Pferd bedeutet. Der Name bezieht sich auf eine mythische Szene, in der Odin sich selbst am Baum opfert, um die Runenweisheit zu erlangen. In diesem Sinn ist der Baum „Odins Galgen“.
🔹 War Yggdrasil eine echte Esche?
In den Quellen wird Yggdrasil als „immergrüne Esche“ beschrieben, doch es handelt sich um ein mythologisches Bild, keine reale Baumart. Die Wahl der Esche symbolisiert Stärke, Wachstum und Verbindung – zentrale Eigenschaften des Weltenbaums.
🔹 Welche Tiere leben auf Yggdrasil?
Yggdrasil ist bevölkert von symbolträchtigen Tieren:
Níðhöggr, ein Drache, nagt an den Wurzeln (Zerstörung).
Ein Adler und der Habicht Vedrfolnir leben in der Krone (Weisheit, Macht).
Ratatoskr, ein Eichhörnchen, läuft den Stamm entlang und stiftet Zwietracht.
Vier Hirsche fressen die Blätter (Erneuerung durch Wandel).
🔹 Welche Welten verbindet Yggdrasil?
In der nordischen Kosmologie gibt es neun Welten, die alle durch Yggdrasil verbunden sind. Die bekanntesten darunter sind:
Asgard (Götterwelt)
Midgard (Menschenwelt)
Jötunheim (Riesenreich)
Helheim (Totenreich)
Niflheim und Muspelheim (Ursprungswelten von Eis und Feuer)
🔹 Was passiert mit Yggdrasil bei Ragnarök?
Beim Weltuntergang Ragnarök wird Yggdrasil schwer erschüttert – als Symbol dafür, dass selbst das kosmische Gefüge nicht ewig besteht. Dennoch überlebt ein Teil des Baumes, und mit ihm zwei Menschen, die die neue Welt nach Ragnarök bevölkern: Líf und Lífthrasir.
🔹 Gibt es Parallelen zu Yggdrasil in anderen Kulturen?
Ja. Der Weltenbaum ist ein universelles Motiv. Beispiele sind:
Die Weltenesche in der sibirischen Mythologie,
Ashvattha, der heilige Feigenbaum im Hinduismus,
Der Baum der Erkenntnis im Judentum und Christentum,
Der Weltenbaum der Maya, der die Unter-, Mittel- und Oberwelt verbindet.











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