Die Mythologie von Brynhildr – Walküre, Kriegerin, Tragödie
- Michael Praher

- 4. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Aug.

Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
In der nordischen Mythologie gibt es zahlreiche starke Frauenfiguren – doch kaum eine ist so eindrucksvoll, komplex und tragisch wie Brynhildr, die Feuerwalküre. Ihre Geschichte ist eine der bekanntesten Heldenerzählungen aus der „Edda“ und der „Völsunga-Saga“. Brynhildr war nicht nur eine Walküre im Dienst Odins, sondern auch eine Frau, deren Schicksal von Liebe, Ehre, Stolz und Verrat bestimmt wurde. Ihre Geschichte spannt den Bogen zwischen Göttern und Menschen – und offenbart die tiefen emotionalen Konflikte einer göttlichen Kriegerin, die sich gegen ihr Schicksal auflehnt.
Die Herkunft und Bestimmung der Feuerwalküre
Die Walküre mit Willen
Brynhildr – manchmal auch als Brunhild bekannt – war eine der mächtigen Walküren, die von Odin selbst entsandt wurden, um das Schicksal der Helden auf den Schlachtfeldern zu bestimmen. In dieser Rolle wählte sie jene aus, die würdig waren, in Walhall zu kämpfen – jenem Ort, an dem sich die tapfersten Krieger auf Ragnarök vorbereiteten.
Doch Brynhildr unterschied sich von anderen Walküren. Sie war keine bloße Befehlsempfängerin. Als sie einem Krieger das Leben schenkte, obwohl Odin seinen Tod befohlen hatte, beging sie einen folgenschweren Akt des Ungehorsams. Der Preis dafür war hoch: Odin verurteilte sie zur Strafe zu einem magischen Schlaf, gefangen auf einem Berg, umgeben von einem Flammenring, den nur ein wahrhaft würdiger Held durchqueren konnte.
Das Feuer als Prüfung
Das magische Feuer, das Brynhildr umgab, symbolisierte nicht nur Strafe, sondern auch eine Prüfung der Reinheit und des Mutes. Nur ein Held mit wahrer Tapferkeit und edlem Herzen sollte sie wecken dürfen. Damit wurde Brynhildr zu einer Art göttlicher Belohnung – doch auch zu einer Gefangenen ihrer eigenen Ehre und Rebellion.
Sigurd – Die große Liebe und das Schicksal
Die Begegnung im Feuer
Es ist Sigurd Fafnirsbane, der berühmte Drachentöter und Held der Völsunga-Saga, der das Feuer überwindet und Brynhildr aus ihrem Schlaf erweckt. Ihre Begegnung ist von Anfang an von Schicksal erfüllt – zwei große Gestalten der nordischen Heldensage, verbunden durch Liebe, aber auch durch Tragik.
Sigurd und Brynhildr versprechen einander Ehe und Treue. Doch wie so oft in den nordischen Mythen wird das Schicksal durch Ränke, Magie und Machthunger entgleisen. Sigurd wird von Grimhild, der listigen Mutter Gudruns, mit einem Zaubertrank getäuscht – er vergisst Brynhildr und heiratet Gudrun, eine andere Königstochter.
Der Verrat und die List
Grimhilds Plan geht noch weiter: Sie lässt Sigurd in der Gestalt seines Schwagers Gunnar Brynhildrs Feuer erneut durchqueren, um sie für Gunnar zu gewinnen. Brynhildr, getäuscht durch die Illusion, glaubt, es sei Sigurd, der sie erneut gefunden hat – und willigt ein, Gunnar zu heiraten. Als sie später erkennt, dass sie getäuscht wurde, bricht ihre Welt zusammen.
Der Verrat wiegt doppelt schwer: nicht nur wurde ihre Liebe verraten – auch ihre Ehre als Walküre und Kriegerin wurde durch Täuschung gebrochen. Aus Liebe wird Hass, aus Treue wird Zorn – und aus einer Walküre wird eine Rächerin.
Zwischen Ehre und Rache – Der tragische Untergang
Die Abrechnung
Von Scham, Wut und Verzweiflung getrieben, schmiedet Brynhildr einen Racheplan. Sie gibt den Mord an Sigurd in Auftrag – einen Mann, den sie noch immer liebt. Als dieser stirbt, zerbricht auch Brynhildr innerlich.
Sie erkennt, dass ihr Streben nach Rache nicht Gerechtigkeit brachte, sondern nur Leid. Voller Reue und in tiefer Trauer begeht sie schließlich Selbstmord, um Sigurd in den Tod zu folgen. In einigen Darstellungen lässt sie sich gemeinsam mit ihm verbrennen – vereint im Tod, wenn schon nicht im Leben.
Symbolik und Bedeutung von Brynhildr
Zwischen Göttlichem und Menschlichem
Brynhildr verkörpert wie kaum eine andere Figur den Konflikt zwischen göttlichem Auftrag und menschlicher Emotion. Als Walküre steht sie für Stärke, Unabhängigkeit und Loyalität gegenüber Odin – doch ihr Herz macht sie verletzlich. Ihr Ungehorsam gegenüber dem Allvater zeigt ihre moralische Integrität, ihre Rebellion gegen Ungerechtigkeit – ein Charakterzug, der sie aus dem starren Korsett göttlicher Ordnung befreit und sie menschlich macht.
Diese Ambivalenz ist zentral: Brynhildr ist sowohl himmlisches Wesen als auch leidenschaftliche Frau, sowohl Richterin als auch Opfer. Ihre Figur symbolisiert die Macht weiblicher Entscheidung, aber auch den hohen Preis, den diese Entscheidungen in einer von Männern dominierten Welt fordern können.
Ehre und Eigensinn
Ihr gesamter Lebensweg ist durchzogen von einem tief verwurzelten Ehrbegriff. Es ist ihr Stolz, der sie gegen Odin aufbegehren lässt, ihre Ehre, die sie zu Rache treibt, und ihr Gerechtigkeitsempfinden, das sie am Ende verzweifeln lässt. Ihre Tragik liegt nicht nur im Verrat anderer, sondern auch in ihrer Unfähigkeit zu vergeben, was sie am Ende das Leben kostet.
Brynhildr im „Nibelungenlied“
Auch außerhalb der nordischen Edda lebt Brynhildrs Geschichte weiter – besonders im mittelhochdeutschen „Nibelungenlied“, wo sie als „Brünhild“ bekannt ist. Dort erscheint sie als stolze Königin von Island, die nur den Mann heiraten will, der sie im Kampf besiegt.
Hier übernimmt Siegfried (Sigurd) die Rolle des listigen Helden, der sie mit Tarnkappe und Trick bezwingt, damit sein Schwager Gunther sie ehelichen kann. Auch in dieser Version wird sie durch Täuschung gebrochen, verraten und letztlich zur tragischen Gegenspielerin Kriemhilds. Während die nordische Sage Brynhildr als tief emotionale und leidenschaftliche Walküre zeigt, betont das Nibelungenlied ihre Ehre und ihren Stolz – und zeigt, wie beide in einer patriarchalen Gesellschaft zur Katastrophe führen.
Vergleich mit anderen Walküren
Im Vergleich zu anderen Walküren wie Sigrún oder Göndul sticht Brynhildr durch ihre Handlungsstärke und ihr individuelles Schicksal hervor. Wo andere Walküren eher als Funktionsträgerinnen Odins agieren, handelt Brynhildr aus freien Stücken – und wird dafür geliebt, bestraft und verflucht.
Sie ist damit eine frühe literarische Figur weiblicher Selbstbestimmung – eine Frau, die nicht Objekt göttlicher Entscheidungen bleibt, sondern selbst Entscheidungen trifft, selbst wenn sie tragisch enden.
Moderne Rezeption – Oper, Popkultur und Symbolkraft
Die Figur Brynhildr wurde vor allem durch Richard Wagners Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ weltberühmt. In Wagners Adaption wird Brünnhilde zur zentralen Figur des letzten Akts – als tragische Heldin, die durch Liebe und Opfer das Götterdämmerung einleitet. Die musikalische Umsetzung verstärkt ihre emotionale Tiefe und ihre innere Zerrissenheit.
Auch in moderner Fantasy, Serien wie Vikings, Romanen oder Videospielen (z. B. „God of War“ oder „Assassin’s Creed Valhalla“) tauchen Anspielungen auf Brynhildr oder archetypisch ähnliche Walkürenfiguren auf. Ihre Symbolik als starke, aber verletzliche Kriegerin bleibt bis heute aktuell.
Fazit – Die ewige Tragödie der Feuerwalküre
Brynhildr ist eine der faszinierendsten Gestalten der nordischen Mythologie. Als Walküre, Rebellin, Geliebte und Rächerin vereint sie göttliche Macht mit tiefster Menschlichkeit. Ihre Geschichte ist nicht nur eine Tragödie, sondern auch ein Spiegel der nordischen Weltanschauung: Ehre ist alles – doch sie kann tödlich sein.
Sie steht für weibliche Stärke, aber auch für die zerstörerische Kraft verletzten Vertrauens. Ihre Figur erinnert uns daran, dass große Gefühle große Konsequenzen haben – selbst in einer Welt voller Götter, Drachen und Helden.
FAQ – Häufige Fragen zu Brynhildr
Wer war Brynhildr in der nordischen Mythologie?
Brynhildr war eine Walküre im Dienst Odins, bekannt für ihren Ungehorsam, ihre tragische Liebe zu Sigurd und ihren Stolz. Sie zählt zu den vielschichtigsten Figuren der nordischen Sagenwelt.
Gibt es Brynhildr auch in anderen Traditionen?
Ja, im mittelhochdeutschen „Nibelungenlied“ erscheint sie als Brünhild – ebenfalls als stolze Kriegerkönigin, jedoch in anderer Ausprägung.
Was unterscheidet Brynhildr von anderen Walküren?
Im Gegensatz zu vielen anderen Walküren handelt Brynhildr selbstbestimmt, trifft folgenschwere Entscheidungen und erlebt einen tragischen Konflikt zwischen Pflicht, Liebe und Stolz.
Wurde Brynhildr als reale historische Figur betrachtet?
Nein. Ihre Geschichte ist Teil der mythologischen und literarischen Überlieferung – allerdings basiert sie möglicherweise auf verschmolzenen Erinnerungen an historische Kriegerinnen.
Welche Rolle spielt Brynhildr in Wagners Opern?
In Wagners „Ring des Nibelungen“ wird sie zur Hauptfigur im letzten Teil (Götterdämmerung) und zum Inbegriff der tragischen Heldin, die durch ihr Opfer den Weltenzyklus vollendet.











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