Wie wir die Bedeutung der Runen für die Wikinger entschlüsselt haben
- Michael Praher
- 14. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Juli

Inhaltsverzeichnis:
Einleitung: Geheimschrift der Nordmänner?
Runen – die uralten Zeichen, die so viele Mythen und Spekulationen hervorrufen. Doch wie konnten wir eigentlich herausfinden, was sie wirklich bedeuteten? Welche Hinweise geben uns Archäologie, Literatur und Sprachwissenschaft? Und wie viel davon ist heute gesichertes Wissen – oder nur Interpretation?
In diesem Artikel tauchen wir tief in die Entschlüsselung der Runenwelt ein: von Inschriften auf Stein und Holz über die Edda bis hin zu modernen Forschungsansätzen. Wenn du wissen willst, wie Historiker und Linguisten die wahre Rolle der Runen im Alltag und der Spiritualität der Wikinger erschlossen haben, bist du hier genau richtig.
Ursprung und frühe Entdeckungen
Die ältesten Runenfunde
Die ältesten bekannten Runen stammen aus dem 2. Jahrhundert nach Christus und wurden vor allem in Südskandinavien, Deutschland und Norditalien entdeckt. Die sogenannte ältere Futhark, bestehend aus 24 Zeichen, war die erste Form dieses Schriftsystems.
Frühe Funde wie der Vimose-Kamm (ca. 160 n. Chr.) oder der Meldorf-Fibel liefern erste Belege für den Gebrauch der Runen. Die Inschriften sind oft kurz, bestehen aus Namen oder rituellen Formeln – genug, um Rückschlüsse auf ihre Funktion zuzulassen.
Sprachliche Zuordnung
Die Zuordnung der Runen zur Sprache der frühen Germanen war ein Durchbruch der historischen Linguistik. Forscher verglichen Runenformen mit Lautentwicklungen der germanischen Sprachen. Dadurch wurde es möglich, den Lautwert jeder Rune zu rekonstruieren – eine Grundvoraussetzung zur Entzifferung von Texten.
Die Edda und literarische Quellen
Runenwissen in der Lieder-Edda
In der Edda finden wir Hinweise darauf, wie die Wikinger ihre Runen verstanden. Besonders Hávamál, das „Hohe Lied“ Odins, schildert, wie Odin selbst die Runen durch ein Opfer am Weltenbaum Yggdrasil erlangt:
„Ich weiß, dass ich hing am windigen Baum,neun lange Nächte …“
Diese Passage bezeugt nicht nur eine mythische Herkunft der Runen, sondern betont ihre Verbindung zu Weisheit und Magie – nicht zu Alltagskommunikation.
Zauberformeln und Runenzauber
Neben der Edda erwähnen auch Sagas und Runensteine rituelle Anwendungen – sogenannte Galdrar (Singzauber). Runen konnten angeblich heilen, schützen, Liebe erwecken oder sogar Schlachten beeinflussen. Solche Quellen zeigen, dass Runen nicht nur als Schriftzeichen dienten, sondern als Träger von Macht galten.
Moderne Interpretation durch Forschung
Archäologie trifft auf Philologie
Ab dem 19. Jahrhundert wurden Runen systematisch erforscht. Archäologen begannen, Inschriften zu dokumentieren und zu vergleichen, während Sprachwissenschaftler deren linguistische Struktur analysierten.
Ein Schlüssel zur Deutung war der Vergleich mit verwandten Schriften, etwa dem lateinischen Alphabet. Auch die Runenreihenfolge („f-u-þ-a-r-k…“) half, systematische Muster zu erkennen.
Funktion im Alltag
Obwohl viele Inschriften magisch oder kultisch sind, finden sich auch profane Beispiele: Besitzvermerke („Eigentum von Björn“), Handelsmarken, Gedichte oder Gedenkinschriften. Das zeigt, dass Runen im Alltag präsent waren – nicht nur als magisches Werkzeug, sondern auch zur Kommunikation und Erinnerung.
Symbolik und spirituelle Deutung
Mehr als nur Buchstaben
Runen waren für die Wikinger keine bloßen Schriftzeichen – sie trugen tiefe symbolische und spirituelle Bedeutungen. Jeder Buchstabe stand nicht nur für einen Laut, sondern auch für ein Konzept oder eine Kraft. So bedeutete z. B. die Rune Fehu (ᚠ) „Vieh“ oder „Reichtum“ – beides eng mit Wohlstand verbunden.
Diese Bedeutungsebenen wurden aus Runengedichten erschlossen, wie sie aus späteren Quellen in Island, Norwegen und England überliefert sind. Dort wird zu jeder Rune eine Strophe angegeben, die ihre Bedeutung umreißt.
Beispiel aus dem Altenglischen Runengedicht:
"Wealth is a comfort to all men;Yet must every man bestow it freely…"
Runen als magisches Werkzeug
Viele Runenfunde, vor allem auf Amuletten oder Waffen, zeigen, dass man sie auch für magische Zwecke nutzte. Der berühmte Lindholm-Amulett enthält eine kryptische Formel, vermutlich zum Schutz oder zur Beschwörung.
Ein weiteres Beispiel: Auf dem Runenstein von Rök (Schweden) finden sich verschlüsselte Texte, die möglicherweise rituellen oder esoterischen Zwecken dienten. Die Runen dienten also als magisches Medium, das über die bloße Sprache hinauswirkte – ähnlich wie Sigillen in späterer Magie.
Verbindung zur nordischen Welt und Mythologie
Odins Opfer und die Runen
Wie schon in Teil 1 erwähnt, spielt Odin eine zentrale Rolle in der Runenüberlieferung. Er ist der Gott der Weisheit, der Dichtung – und der Runen. Der Mythos seines Selbstopfers am Weltenbaum zeigt, dass die Runen als göttliches Geschenk galten, das nur durch Leiden, Opfer und Initiation erlangt werden konnte.
Die Verbindung von Runen mit anderen Wesen – etwa den Nornen (Schicksalsgöttinnen), die Runen „ritzen“ – zeigt, wie stark sie in die kosmische Ordnung eingebunden waren.
Runen auf Grabsteinen und Denkmälern
Viele Runeninschriften finden sich auf sogenannten Runensteinen – vor allem in Schweden, aber auch in Dänemark und Norwegen. Diese Steine waren meist Totengedenksteine, oft mit christlicher und heidnischer Symbolik vermischt. Auch hier zeigt sich die Übergangszeit zwischen alter Religion und neuer Weltanschauung – ein Spiegel gesellschaftlichen Wandels.
Moderne Forschung, Verwendung & Missverständnisse
Neuentdeckungen durch Technik
Dank moderner Bildgebung (z. B. Infrarot-Scan, 3D-Rekonstruktion) können heute selbst stark verwitterte Runeninschriften besser lesbar gemacht werden. Auch die digitale Datenbankarbeit erlaubt neue Vergleiche und Hypothesen. Projekte wie das „Samnordisk runtextdatabas“ an der Universität Uppsala liefern Tausende digitalisierte Inschriften.
Gefahren der Esoterik und Pseudowissenschaft
Gerade in der modernen Esoterikszene werden Runen oft aus dem Zusammenhang gerissen – als Tarot-Ersatz, in New-Age-Ritualen oder für „Runen-Magie“. Auch in rechtsextremen Kreisen wurden Runensymbole (z. B. Odalrune) zweckentfremdet.
Seriöse Runenkunde grenzt sich bewusst davon ab: Runen waren Teil eines komplexen Systems – Schrift, Symbol, Ritual und Spiritualität in einem. Ihre Deutung verlangt Kontextwissen, keine bloße Mystifizierung.
Verwandte Schriftsysteme und Einflüsse
Vom Futhark zur jüngeren Runenreihe
Im Laufe der Zeit entwickelten sich aus der älteren Futhark (24 Zeichen) regionale Varianten. Die wichtigste war das jüngere Futhark (16 Zeichen), das zur Wikingerzeit gebräuchlich war. Auch das angelsächsische Futhorc ist eine Erweiterung mit bis zu 33 Zeichen.
Diese Entwicklungen zeigen, dass Runen lebendige Schriftsysteme waren, die sich an regionale Sprachen und Bedürfnisse anpassten.
Einfluss anderer Kulturen
Es wird angenommen, dass die Runen vom lateinischen oder norditalischen Alphabet inspiriert wurden. Dies zeigt, wie die Germanen sich vorhandene Systeme aneigneten und sie in ihr eigenes kulturelles Umfeld überführten – mit einem Hauch Magie und Mythos.
Fazit: Runen und ihre Bedeutung
Die Bedeutung der Runen für die Wikinger konnten wir nur durch das Zusammenspiel vieler Disziplinen entschlüsseln: Archäologie, Sprachwissenschaft, Literatur, Ethnologie. Aus wenigen Zeichen auf Holz oder Stein entstand ein tiefes Verständnis für ein ganzes Weltbild.
Runen waren mehr als Schrift. Sie waren Magie, Identität, Erinnerung – ein Schlüssel zur Gedankenwelt der Wikinger. Und obwohl wir heute vieles verstehen, bleibt ein Teil ihres Zaubers bis heute erhalten.
❓ FAQ – Häufige Fragen zur Runenforschung
Wie alt sind die ersten Runen?
Die ältesten bekannten Funde stammen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. aus Dänemark und Norddeutschland.
Woher weiß man, was die Runen bedeuten?
Durch Sprachvergleich, Runengedichte, Archäologie und literarische Quellen wie die Edda.
Waren Runen magisch?
In der Vorstellung der Wikinger ja – sie galten als Träger göttlicher Macht, besonders in rituellen Kontexten.
Welche Runen benutzten die Wikinger?
Meist das sogenannte jüngere Futhark mit 16 Zeichen.
Sind heutige Runenrituale historisch?
Nein – moderne Praktiken sind meist von Neuzeit-Esoterik beeinflusst und keine echten Wikingerbräuche.
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