Die Rolle der Frau bei den Wikingern – Zwischen Freiheit, Macht und Mythos (Mit Video)
- Michael Praher
- 5. Apr.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Aug.

Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
Wenn wir an Wikinger denken, erscheinen vor unserem inneren Auge oft bärtige Krieger, Drachenboote und raues Nordlandwetter. Doch hinter der martialischen Fassade verbarg sich eine Gesellschaft, in der Frauen eine weit bedeutendere Rolle spielten, als es viele mittelalterliche Kulturen kannten. Die Frauen der Wikingerzeit waren nicht nur Mütter und Ehefrauen – sie waren auch Händlerinnen, Hofverwalterinnen, Seherinnen und mitunter sogar Kriegerinnen. Ihre Rechte, Freiheiten und ihre symbolische wie tatsächliche Macht geben uns heute ein erstaunlich modernes Bild dieser alten nordischen Welt.
Die Rechte und Freiheiten der Wikingerfrauen
Eigentum, Scheidung und Selbstbestimmung
Im Vergleich zu vielen anderen Gesellschaften des Frühmittelalters genossen Frauen in der Wikingerwelt bemerkenswerte Rechte. Sie konnten Eigentum besitzen, vererben und verwalten – von Land und Vieh bis hin zu Schmuck und Haushaltsgegenständen. Frauen konnten zudem als Erbinnen auftreten, Witwen konnten allein wirtschaften, und selbst unverheiratete Frauen hatten eine gesetzlich geschützte Stellung.
Ein besonders fortschrittliches Recht war jenes auf Scheidung: Wenn ein Ehemann seine Frau schlecht behandelte, untreu war oder seine familiären Pflichten vernachlässigte, konnte die Frau die Ehe auflösen – eine juristische Freiheit, die selbst in späteren Jahrhunderten noch Seltenheitswert hatte.
Einfluss auf Gesellschaft und Politik
Auch wenn Frauen nicht offiziell am Thing, der Volksversammlung, teilnehmen durften, war ihr Einfluss auf die Politik keineswegs zu unterschätzen. Über Ehemänner, Söhne oder Brüder konnten sie indirekt Entscheidungen beeinflussen. In Abwesenheit von männlichen Familienmitgliedern – etwa während Raubzügen oder Handelsfahrten – übernahmen sie oft die alleinige Leitung des Hofes, was auch politische Macht bedeutete.
Witwen oder wohlhabende Frauen, die über größere Besitzungen verfügten, konnten so zu einflussreichen Persönlichkeiten in ihrer Region aufsteigen. Ihre wirtschaftliche und soziale Stellung verlieh ihnen eine Stimme, selbst wenn sie nicht formal zu den Herrschenden zählten.
Frauen als Hüterinnen des Hauses – und mehr
Der Schlüssel zur Macht
In der Symbolik der Wikingerzeit war der Schlüssel ein mächtiges Zeichen – und er gehörte den Frauen. Ein Bund Schlüssel am Gürtel der Hausfrau war nicht nur praktisches Werkzeug, sondern ein Statussymbol. Er stand für die Kontrolle über Vorräte, Wertsachen und Entscheidungen im Haushalt. Die Trägerin dieses Schlüssels war die zentrale Instanz des Alltagslebens – eine Art „Managerin des Mikrokosmos“.
Organisation, Handwerk und Wirtschaftskraft
Frauen waren verantwortlich für die Planung und Verwaltung der Vorräte, für das Zubereiten und Konservieren von Nahrung, für das Weben von Textilien sowie für die Herstellung von Kleidung und Haushaltswaren. Diese Tätigkeiten waren keine bloßen „Hausarbeiten“, sondern essentielle wirtschaftliche Funktionen, ohne die das Überleben einer Siedlung unmöglich gewesen wäre.
Die Produktion von Textilien, etwa aus Wolle oder Leinen, war so wichtig, dass sie sogar als Handelsware diente. Frauen lieferten also nicht nur für den Eigenbedarf, sondern für den wirtschaftlichen Austausch mit anderen Höfen, Regionen oder über Handelsnetzwerke hinweg.
Landwirtschaft und Verantwortung
Während der oft monatelangen Abwesenheit der Männer waren es die Frauen, die den Hof am Laufen hielten: Sie bestellten die Felder, kümmerten sich um das Vieh, organisierten Arbeitskräfte und verteidigten im Notfall sogar Eigentum und Familie. In diesen Phasen waren sie de facto alleinige Herrscherinnen über Hof, Land und Gemeinschaft – eine Rolle, die weit über das hinausging, was Frauen in vielen anderen Kulturen ausüben durften.
Frauen in der Wirtschaft – Händlerinnen, Netzwerkerinnen, Versorgerinnen
Die Wikingerinnen waren keine stillen Mitläuferinnen der wirtschaftlichen Entwicklung – sie waren oft treibende Kräfte. Besonders in Zeiten, in denen Männer monatelang auf See unterwegs waren, trugen Frauen die Verantwortung für die wirtschaftliche Stabilität der Familie und Siedlung.
Aktiver Handel und Eigentum
Viele archäologische Funde belegen, dass Frauen im Handel aktiv waren – besonders in Handelszentren wie Birka (Schweden) oder Hedeby (Deutschland). Dort wurden Grabfunde gemacht, die auf wohlhabende Frauen mit Handelsbeziehungen hindeuten: Waagen, Gewichte, importierter Schmuck und Textilien. Diese Fundstücke belegen, dass Frauen als selbstständige Händlerinnen agierten – mit Rechten, über ihr Einkommen zu verfügen und Verträge zu schließen.
Auch das Erbrecht unterstützte die wirtschaftliche Unabhängigkeit: Töchter konnten erben, Witwen ihren Hof weiterführen, unverheiratete Frauen eigenes Land besitzen. In einer Welt, in der Besitz gleichbedeutend mit Einfluss war, bedeutete das: Frauen konnten wirtschaftliche Macht ausüben – ganz ohne männliche „Vormundschaft“.
Landwirtschaft als Lebensgrundlage
Die Rolle der Frau in der Landwirtschaft war ebenso entscheidend. Während der Abwesenheit der Männer führten Frauen den Hof weiter – sie säten und ernteten, verwalteten Vieh, organisierten die Arbeit und führten Aufzeichnungen über Vorräte. In vielen Fällen waren sie jahrelang alleinige Verantwortliche für die Lebensmittelversorgung.
Diese Arbeit war nicht nur überlebenswichtig, sondern auch hoch angesehen. Wer einen Hof erfolgreich führte, galt als tüchtig, klug und fähig – Qualitäten, die auch bei Frauen respektiert wurden. Manche von ihnen, etwa auf Island, entwickelten sich durch diese Verantwortung zu lokalen Machtpersonen.
Schildmaiden – Kriegerinnen im Mythos und vielleicht auch in der Realität
Wenige Aspekte faszinieren so sehr wie die Frage: Gab es weibliche Wikingerkriegerinnen wirklich?
Die Schildmaiden in den Sagas
In den altnordischen Sagas begegnen uns regelmäßig starke Frauen, die mit dem Schwert in der Hand kämpfen. Namen wie Lagertha, Hervör, Brynhildr oder Freydís Eiríksdóttir stehen für Frauen, die Schlachten schlugen, sich gegen Gegner erhoben oder mit den Männern auf Raubzüge zogen. Besonders die Hervararsaga erzählt vom Mut einer Frau, die sich als Mann ausgab, um als Kriegerin zu leben – eine kraftvolle Metapher für weibliche Autonomie in einer martialischen Welt.
Zwar sind Sagas literarisch und überhöht – doch sie spiegeln gesellschaftliche Vorstellungen. Die Existenz solcher Figuren zeigt, dass die Vorstellung von kämpfenden Frauen nicht fremd oder lächerlich war – sondern zumindest denkbar und erzählenswert.
Archäologische Beweise
2017 sorgte ein spektakulärer Fund für weltweites Aufsehen: Das Grab Bj581 in Birka, lange Zeit für das eines hochrangigen Kriegers gehalten, entpuppte sich durch DNA-Analyse als weiblich. Es enthielt Waffen, ein taktisches Spielbrett (möglicher Hinweis auf strategische Führung) sowie zwei Pferde – eine klassische Bestattung für einen militärischen Anführer.
Obwohl es bis heute Debatten gibt, wie wörtlich man diese Funde nehmen sollte, ist klar: Frauen wurden zumindest in Einzelfällen wie Krieger beerdigt – ein Hinweis darauf, dass auch auf dem Schlachtfeld Platz für sie war.
Symbolik der Schildmaiden
Die Schildmaiden stehen heute nicht nur für körperliche Stärke, sondern für den Mut, gesellschaftliche Grenzen zu überschreiten. Sie verkörpern Freiheit, Entschlossenheit und Ehrgefühl – Werte, die in der Wikingerkultur hoch geschätzt wurden. Ihre Existenz in Legenden und (vielleicht) auf realen Schlachtfeldern zeigt, dass die Welt der Wikinger weit weniger starr und männlich dominiert war, als oft angenommen.
Religion und Spiritualität – Frauen als Mittlerinnen zu den Göttern
In der Welt der nordischen Spiritualität nahmen Frauen eine herausragende Stellung ein. Sie waren nicht nur Gläubige, sondern Führerinnen, Priesterinnen und Prophetinnen, die über das Schicksal mitbestimmen konnten.
Die Völva – Seherin und Ritualmeisterin
Eine der mächtigsten spirituellen Figuren war die Völva. Diese Seherin und Zauberin war in der Lage, durch Seiðr-Magie das Schicksal zu beeinflussen, Prophezeiungen auszusprechen und mit der Geisterwelt in Kontakt zu treten. Ihre Rituale waren komplex und oft von Trancezuständen begleitet – ein Hinweis auf tiefe spirituelle Praxis.
Die Völva war gefürchtet und verehrt zugleich. Sie reiste von Hof zu Hof, wurde reich entlohnt und hatte – ähnlich wie die keltischen Druiden – eine Sonderstellung. Ihre Autorität überstieg die eines gewöhnlichen Bürgers, ihre Worte wurden mit göttlicher Weisheit gleichgesetzt.
Göttinnen als Vorbilder
Die nordische Mythologie ist reich an mächtigen weiblichen Gottheiten, die als Rollenmodelle für Frauen dienten:
Freyja – Göttin der Liebe, des Krieges und der Magie, mächtig, unabhängig, verehrt in Kult und Mythos.
Frigg – Gattin Odins, Hüterin der Familie und des Wissens um das Schicksal.
Hel – Herrscherin über die Unterwelt, furchteinflößend und respektiert.
Diese Göttinnen verkörperten jeweils unterschiedliche Formen weiblicher Stärke – von Liebe und Mutterschaft bis hin zu Macht über Leben und Tod. Ihre Vielschichtigkeit spiegelte sich auch in den realen Frauen der Wikingerwelt wider.
Fazit – Die unterschätzte Stärke der Wikingerfrauen
Die Rolle der Frau bei den Wikingern war weit mehr als nur die der Ehefrau oder Mutter – sie waren Händlerinnen, Haushaltsvorsteherinnen, Hofverwalterinnen, Priesterinnen, Kriegerinnen und spirituelle Autoritäten. Ihr Einfluss reichte in fast alle Bereiche des sozialen Lebens: Wirtschaft, Religion, Recht und sogar Politik. Während Männer auf Raubzug oder Handelsfahrt waren, hielten die Frauen die Gemeinschaft am Laufen – mit Sachverstand, Organisationstalent und Eigenverantwortung.
In einer Zeit, in der Frauen in weiten Teilen Europas kaum Rechte besaßen, bot die Wikingerkultur bemerkenswerte Freiheiten und Möglichkeiten. Die Rolle der Frau war fest verankert im gesellschaftlichen Gefüge und spiegelte ein Bild von Respekt, Kompetenz und Stärke wider. Ob auf dem Markt, im Haushalt, auf dem Schlachtfeld oder im rituellen Kreis: Wikingerfrauen prägten die nordische Welt maßgeblich – und tun es bis heute in unserem kulturellen Gedächtnis.
FAQ – Häufig gestellte Fragen zur Rolle der Frau bei den Wikingern
Gab es wirklich weibliche Kriegerinnen bei den Wikingern?
Ja, sowohl schriftliche Quellen als auch archäologische Funde deuten darauf hin. Die Sagas berichten von Schildmaiden, und das berühmte Grab in Birka enthält klare Hinweise auf eine weibliche Kriegerin.
Durften Wikingerfrauen sich scheiden lassen?
Ja, Frauen konnten die Scheidung einreichen – z. B. bei Misshandlung, Untreue oder Vernachlässigung durch den Ehemann. Die Scheidung war mit rechtlichen Konsequenzen für beide Seiten verbunden.
Hatten Wikingerfrauen politischen Einfluss?
Direkt waren sie im Thing (der Volksversammlung) meist nicht stimmberechtigt, aber sie konnten politischen Einfluss über Ehemänner, Söhne oder durch ihre wirtschaftliche Stellung ausüben – besonders als Witwen oder wohlhabende Grundbesitzerinnen.
Waren Frauen in der Wikingerreligion wichtig?
Ja, sehr. Frauen wie die Völvas nahmen wichtige spirituelle Rollen ein. Außerdem gab es viele starke Göttinnen wie Freyja oder Frigg, die weibliche Macht und Weisheit verkörperten.
Konnte eine Frau ein eigenes Geschäft führen?
Ja, Frauen konnten handeln, Eigentum besitzen und verwalten. Viele Grabfunde zeigen, dass sie aktiv in den Handel eingebunden waren – auch überregional.
Comentários