Wikinger auf See: Navigation, Routen und Entdeckungen
- Michael Praher

- 4. Sept.
- 7 Min. Lesezeit

Inhaltsverzeichnis:
🔸 Fazit
🔸 FAQ
Einleitung
Die Wikinger waren nicht nur gefürchtete Krieger und geschickte Handwerker, sondern vor allem auch herausragende Seefahrer. Mit ihren schlanken, schnellen und zugleich stabilen Schiffen wagten sie sich weit über die bekannten Küsten hinaus. Von Norwegen nach Island, von Dänemark nach England, von Schweden bis ins Schwarze Meer – ihre Fahrten legten die Grundlage für ein erstaunliches Netz aus Handel, Eroberung und kulturellem Austausch. Doch wie konnten Menschen vor über tausend Jahren, ohne Kompass, GPS oder moderne Karten, über das offene Meer navigieren?
Die Wikinger nutzten ein beeindruckendes Zusammenspiel aus Naturbeobachtung, Erfahrung und vielleicht auch geheimnisvollen Hilfsmitteln wie Sonnensteinen. Ihre Reisen waren mehr als bloße Seefahrten: Sie waren Entdeckungsreisen, die die Grenzen der bekannten Welt verschoben.
Die Grundlagen der Wikingernavigation
Schon die alltäglichen Küstenfahrten erforderten eine genaue Kenntnis von Strömungen, Gezeiten, Landmarken und Winden. Wikingerkapitäne, oft Jarl oder erfahrene Steuerleute, mussten das Meer lesen können wie ein Buch. Wolkenformationen konnten verraten, wo Land lag, Vogelzüge deuteten auf Küsten in Reichweite hin, und die Farbe des Wassers verriet, ob man sich in der Nähe flacher Gewässer befand.
Die Wikinger reisten nicht blind: Viele ihrer Handels- und Beutezüge führten entlang bekannter Küstenrouten. Doch sobald sie den Sprung über offenes Meer wagten – etwa nach Island oder Grönland –, mussten sie auf tiefergehende Techniken zurückgreifen.
Die Sonnenscheibe – Ein rätselhaftes Hilfsmittel
Ein faszinierendes Fundstück aus Grönland wirft Licht auf die frühe Navigation der Wikinger: die sogenannte „Sonnenscheibe“. Dabei handelt es sich um ein kleines Holzfragment mit eingeritzten Linien, das als primitiver Sonnenschatten-Kompass gedeutet wird.
Die Funktionsweise: Wenn man einen Stift (Gnomon) senkrecht auf die Mitte stellte, konnte man den Schattenverlauf im Tagesverlauf beobachten. Damit ließ sich grob die Himmelsrichtung bestimmen, selbst wenn die Sonne tief stand. Es wird vermutet, dass die Wikinger mit dieser Methode besonders um die Zeit der Tag- und Nachtgleichen navigierten, da die Sonnenbahn dann vorhersehbarer war.
Ob die Sonnenscheibe tatsächlich als Navigationsinstrument diente oder eine ganz andere Funktion hatte, bleibt bis heute umstritten. Doch sie zeigt, dass die Wikinger sich intensiv mit astronomischen Methoden beschäftigten, um ihren Kurs auf hoher See zu halten.
Die Theorien um die Sonnenscheibe
Eine der faszinierendsten Theorien zur Navigation der Wikinger betrifft die sogenannte Sonnenscheibe. Dabei handelt es sich um ein Artefakt, das in Grönland gefunden wurde – eine hölzerne Scheibe mit Markierungen, die von Archäologen als Navigationshilfe interpretiert wird.
Die Funktionsweise ist verblüffend einfach und zugleich genial: Legt man die Scheibe horizontal und richtet sie anhand des Sonnenstands aus, werfen die Markierungen einen Schatten, der die Himmelsrichtungen anzeigt. Besonders nützlich war dies in den nördlichen Breiten, wo die Sonne im Sommer kaum untergeht. So konnten die Wikinger auch bei Mitternachtssonne Orientierung finden.
Allerdings ist die Forschung sich nicht einig, ob die Sonnenscheibe tatsächlich von Wikingern zur Navigation genutzt wurde oder ob sie nur ein astronomisches Instrument war. Manche Experten sehen sie eher als Sonnenkalender, um die Tageszeiten zu bestimmen. Dennoch bleibt sie ein faszinierender Hinweis darauf, wie eng die Wikinger Naturbeobachtung und Technik miteinander verbanden.
Die geheimnisvollen Sonnensteine
Noch populärer als die Sonnenscheibe ist die Theorie der Sonnensteine. In den Sagas wird erwähnt, dass die Wikinger „sólarsteinn“ – Sonnensteine – nutzten, um auch bei Wolken oder Nebel den Stand der Sonne zu bestimmen.
Moderne Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich dabei um Kalkspat (Isländischer Doppelspat) oder andere kristalline Mineralien gehandelt haben könnte. Diese besitzen eine besondere Eigenschaft: Sie brechen das Licht so, dass man die Polarisation erkennen kann. Durch Drehen des Steins konnte man die Himmelsrichtung selbst dann herausfinden, wenn die Sonne unsichtbar war.
Experimente mit rekonstruierten Sonnensteinen haben gezeigt, dass dieses Prinzip tatsächlich funktioniert – mit erstaunlicher Genauigkeit. Es wird vermutet, dass die Wikinger auf diese Weise auch bei starker Bewölkung oder in der Dämmerung sicher navigieren konnten. Manche Historiker gehen sogar so weit, zu behaupten, dass die Sonnensteine eine der Schlüsseltechnologien für die Entdeckung Amerikas durch Leif Eriksson gewesen sein könnten.
Orientierung durch Tiere und Naturzeichen
Neben technischen Hilfsmitteln wie Sonnenscheibe und Sonnenstein griffen die Wikinger auf eine der ältesten Formen der Navigation zurück: die Beobachtung der Natur. Vögel spielten hierbei eine besondere Rolle.
In der Saga von Flóki Vilgerðarson – dem Mann, der Island entdeckte – wird beschrieben, dass er Raben mit auf seine Reise nahm. Auf offener See ließ er sie frei. Flogen sie zurück zum Schiff, wusste Flóki, dass kein Land in der Nähe war. Flogen sie in eine bestimmte Richtung davon, folgte er ihnen – und fand so Island.
Auch andere Tiere, etwa Fische oder Wale, gaben Hinweise auf Strömungen und Küstennähe. Zusätzlich achteten die Wikinger auf den Wellengang, den Salzgehalt des Wassers, den Geruch von Land, die Flugrichtungen von Seevögeln und sogar auf Wolkenformationen, die sich oft über Landmassen bildeten.
Diese enge Verbindung zur Natur zeigt, dass die Wikinger nicht nur geschickte Krieger und Händler waren, sondern auch scharfsinnige Beobachter ihrer Umwelt, die durch Erfahrung und Intuition Wege fanden, die unendliche Weite des Meeres zu beherrschen.
Routen und Entdeckungen der Wikinger
Die Wikinger waren nicht nur Krieger und Händler, sondern vor allem geschickte Seefahrer. Ihre Routen führten sie über Flüsse, Meere und sogar den Atlantik – weit über das hinaus, was viele andere Kulturen ihrer Zeit wagten.
Handelswege im Osten
Ein bedeutender Teil der Wikingerzüge führte nicht nach Westen, sondern nach Osten. Über die Ostsee und die großen Flusssysteme Osteuropas drangen die sogenannten Waräger tief ins slawische und byzantinische Gebiet vor. Die Dnjepr- und Wolga-Route verbanden die skandinavische Welt mit Konstantinopel und dem Kalifat der Abbasiden. Bernstein, Sklaven, Honig und Felle wurden gegen Silber, Seide und exotische Waren getauscht. Noch heute bezeugen arabische Silbermünzen, die man in Skandinavien gefunden hat, den Umfang dieses Handels.
Fahrten nach Westen
Die wohl berühmtesten Wikingerfahrten führten gen Westen. Ab dem späten 8. Jahrhundert segelten sie über die Nordsee zu den Britischen Inseln, wo sie sowohl plünderten als auch Handelszentren gründeten. Dublin in Irland entwickelte sich unter Wikingern zu einer wichtigen Stadt, ebenso York (Jórvík) in England. Auch die Küsten Frankreichs wurden häufig von Wikingerflotten heimgesucht – aus diesen Unternehmungen entstand schließlich das Herzogtum Normandie.
Die Erschließung des Nordatlantiks
Besonders eindrucksvoll sind die Fahrten über den Nordatlantik. Ab dem 9. Jahrhundert besiedelten die Wikinger zunächst die Färöer und Island. Island entwickelte sich zu einer Hochburg der nordischen Kultur und ist durch die isländischen Sagas noch heute ein Schatzhaus des Wissens über die Wikingerzeit.
Von dort aus setzten die Seefahrer nach Grönland über, wo Erik der Rote im späten 10. Jahrhundert eine Siedlung gründete. Trotz der harschen Lebensbedingungen hielten sich die Grönlandkolonien über mehrere Jahrhunderte.
Vinland: Die Entdeckung Amerikas
Der Höhepunkt der Entdeckungsfahrten war die Überquerung des Atlantiks nach Nordamerika. Leif Eriksson, Sohn von Erik dem Roten, erreichte um das Jahr 1000 die Küste Nordamerikas, die in den Sagas als „Vinland“ beschrieben wird. Archäologische Funde in L’Anse aux Meadows (Neufundland, Kanada) belegen, dass die Wikinger tatsächlich einen Stützpunkt in der Neuen Welt hatten – fast 500 Jahre vor Kolumbus.
Auch wenn die Besiedlung Nordamerikas durch die Wikinger nicht dauerhaft Bestand hatte, zeigt sie doch, wie weitreichend ihr Mut, ihre Schiffe und ihre Navigationskünste waren.
Navigation und Mythologie: Götter, Runen und göttliche Führung
Für die Wikinger war Seefahrt nie bloß eine technische Angelegenheit, sondern stets auch ein Akt mit tiefer mythologischer Bedeutung. Wer das Meer befuhr, trat in einen Bereich ein, der den Göttern, Riesen und Naturgeistern geweiht war. Njörd, der Gott des Meeres und des Windes, galt als Schutzpatron der Seefahrer. Er konnte Stürme besänftigen und Winde lenken – doch ebenso gefährlich war sein Zorn. Auch Ægir, der Meeresriese, spielte eine ambivalente Rolle: Einerseits spendete er Gastfreundschaft, andererseits konnte er Schiffe verschlingen.
Runen wurden auf Schiffsplanken, Ruder oder Amulette geritzt, um göttliche Hilfe zu erbitten. Besonders Schutzrunen wie Algiz (Schutz) oder Raido (Reise, Weg) galten als glücksbringend. Manche Forscher vermuten sogar, dass Symbole wie der Vegvísir, der später als magischer Kompass in isländischen Handschriften auftauchte, ihre Wurzeln in der Wikingerzeit haben könnten.
Auch die Mythen spiegelten die Realität der Navigation wider. So erinnern die Reisen der Götter – etwa Thors gefährliche Fahrten über das Meer oder Odins Suche nach Wissen – an die Herausforderungen, denen sich Wikinger auf offener See stellen mussten. In gewisser Weise war jede Fahrt nicht nur ein Handels- oder Kriegszug, sondern auch ein Übergang zwischen Welten, fast wie eine kleine Version von Odins eigener Reise durch die Neun Welten.
Fazit: Meister der Meere
Die Wikinger waren weit mehr als brutale Krieger, wie sie oft dargestellt werden. Ihre wahre Stärke lag in ihrer Seefahrt. Mit erstaunlicher Technik, kluger Nutzung der Natur und einer gehörigen Portion Mut erschlossen sie Routen, die von Skandinavien bis ins ferne Byzanz und sogar nach Nordamerika führten.
Ob durch die Theorie der Sonnenscheibe, den geheimnisvollen Sonnenstein oder das Gespür für Tiere – sie zeigten, dass Navigation nicht nur eine Kunst, sondern auch ein Zusammenspiel von Erfahrung, Glauben und Intuition war. Ihre Entdeckungen veränderten das Bild Europas und machten sie zu den Pionieren einer globalen Vernetzung, die lange vor Kolumbus begann.
FAQ: Wikinger und ihre Seefahrt
Hatten die Wikinger wirklich Kompasse?
Nein, klassische Magnetkompasse kannten sie nicht. Sie nutzten stattdessen Sonne, Sterne, Strömungen und möglicherweise Hilfsmittel wie Sonnensteine.
Wie weit segelten die Wikinger wirklich?
Sie reisten von Skandinavien nach England, Irland, Frankreich, Spanien, Italien, Nordafrika, ins Byzantinische Reich und bis nach Nordamerika.
War die Seefahrt für die Wikinger gefährlich?
Ja – Stürme, Strömungen und feindliche Küsten machten jede Fahrt zu einem Risiko. Doch ihre Schiffe waren so gebaut, dass sie selbst raueste Bedingungen überstehen konnten.
Welche Rolle spielten Götter beim Segeln?
Viele Seefahrer riefen Njörd oder Ægir an, trugen Runenamulette oder opferten, bevor sie in See stachen. Seefahrt war für sie immer auch ein religiöser Akt.
Stimmt es, dass die Wikinger vor Kolumbus Amerika entdeckten?
Ja, Leif Eriksson und seine Gefährten erreichten um 1000 n. Chr. das heutige Neufundland – rund 500 Jahre vor Kolumbus.
Die Wikinger hinterließen nicht nur Spuren auf dem Meer, sondern auch in unserer Vorstellung von Abenteuer, Mut und Entdeckung. Wenn dich ihre Seefahrtskunst fasziniert hat, entdecke weitere spannende Artikel über Wikingerkultur und nordische Mythologie auf meinem Blog – und begleite die Nordmänner auf ihren Reisen durch Geschichte und Legende.










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