Wikinger – Ein Beruf, keine Ethnie (Mit Video)
- Michael Praher
- 5. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Apr.

Wenn du an Wikinger denkst, stellst du dir wahrscheinlich furchteinflößende Krieger mit Äxten vor, die Dörfer niederbrennen und sich in blutige Schlachten stürzen. Aber was wäre, wenn ich dir sage, dass „Wikinger“ eigentlich gar kein Volk war? Dass es mehr mit einer Tätigkeit als mit einer Herkunft zu tun hatte?
Wikinger – Ein Beruf, keine Ethnie
Das Wort „Wikinger“ stammt ursprünglich aus der Altnordischen Sprache, (vermutlich von víkingr). Es bezeichnete nicht ein bestimmtes Volk, sondern eine Aktivität – das „auf Wikingerfahrt gehen“. Damit waren die Reisen gemeint, auf denen nordische Männer und manchmal auch Frauen mit ihren schnellen Langschiffen über Meere und Flüsse fuhren, um zu handeln, zu erkunden oder eben zu plündern.
Das bedeutet: Nicht jeder Skandinavier war ein Wikinger! Die meisten Menschen in Skandinavien waren Bauern, Handwerker oder Händler, die nie eine Plünderfahrt unternahmen. Jemand konnte also Wikinger sein, musste es aber nicht sein – es war eher eine Art Beruf oder Lebensweise als eine ethnische Zugehörigkeit.
Auch innerhalb der skandinavischen Gesellschaft gab es klare Unterschiede. Während einige Nordmänner durch Plünderungen zu Reichtum und Ansehen gelangten, lebten die meisten in einfachen Gemeinschaften und hatten mit dem berühmten „Wikingerleben“ wenig zu tun. Zudem gab es in Skandinavien regionale Unterschiede: Während die Dänen und Norweger sich oft Richtung Westen orientierten und England sowie Frankreich angriffen, suchten die Schweden ihren Weg nach Osten und trieben Handel mit den slawischen Völkern und dem Byzantinischen Reich.
Interessanterweise konnte sich der Begriff „Wikinger“ auch auf Menschen beziehen, die gar nicht aus Skandinavien stammten. Es gibt Hinweise darauf, dass sich auch Männer aus anderen Regionen den Wikingern anschlossen – sei es aus Abenteuerlust, wirtschaftlicher Not oder einfach, weil sie sich der militärischen Stärke dieser Gruppen anschließen wollten. Skandinavische Clans kämpften oft untereinander, und Bündnisse wurden nicht nur innerhalb eines Volkes geschlossen, sondern auch mit fremden Söldnern.
Wer durfte ein Wikinger sein?
Im Gegensatz zu den festen Kriegerkasten anderer Kulturen konnte theoretisch jeder freie Mann in Skandinavien ein Wikinger werden – wenn er mutig genug (oder verzweifelt) genug war. Plünderfahrten waren gefährlich, aber sie versprachen Ruhm und Reichtum. Wer sich eine Ausrüstung leisten konnte und fähig war, mit einem Schiff umzugehen, konnte mitziehen.
Wikingertaten galten als Möglichkeit, sich zu beweisen und gesellschaftlich aufzusteigen. Besonders jüngere Söhne von Bauern oder Adligen, die kein Land erben konnten, suchten auf See ihr Glück. Manche zogen für ein paar Jahre auf Beutezug und kehrten dann zurück, um sich als wohlhabende Männer niederzulassen. Andere blieben ihr Leben lang auf Reisen. Doch nicht nur Krieger wurden gebraucht – auch Handwerker, Händler und Seeleute waren essenziell für eine erfolgreiche Expedition. Schließlich musste jemand Waffen und Schiffe instand halten, geplünderte Waren verkaufen oder für die Versorgung sorgen.
Frauen konnten zwar nicht offiziell „auf Wikingerfahrt gehen“, doch es gibt Hinweise darauf, dass einige von ihnen durchaus an Raubzügen beteiligt waren. Schildmaiden wie Lagertha oder Hervör aus den Sagas könnten auf echten Vorbildern beruhen. Zudem begleiteten Frauen oft die Siedlungszüge nach Island, Grönland oder sogar Vinland (Nordamerika), wo sie eine entscheidende Rolle beim Aufbau neuer Gemeinschaften spielten.
Auch außerhalb Skandinaviens konnten Männer zu Wikingern werden. Es gibt Berichte über slawische, fränkische oder keltische Kämpfer, die sich den nordischen Kriegergruppen anschlossen. Besonders in der Kiewer Rus rekrutierten skandinavische Fürsten Krieger verschiedenster Herkunft, um ihre Armeen zu verstärken. Einige dieser Männer brachten es sogar zu hohem Ansehen – etwa die Waräger, die als Elitewache des byzantinischen Kaisers dienten.
Ein Wikinger zu sein, bedeutete also nicht nur, nordischer Abstammung zu sein, sondern eine bestimmte Lebensweise zu wählen. Wer mutig, geschickt und bereit war, das Risiko einzugehen, konnte sich einen Platz an Bord eines Drachenbootes sichern – und vielleicht mit Reichtümern und Ruhm zurückkehren.
Nicht nur Plünderer, sondern auch Händler
Obwohl das Bild des plündernden Wikingers dominiert, waren viele dieser Seefahrer auch Händler. Die Wikinger waren geschickte Kaufleute und handelten mit Silber, Pelzen, Seide, Gewürzen und sogar Sklaven. Sie reisten bis nach Byzanz, in den Nahen Osten und nach Russland, wo sie sich mit arabischen, persischen und byzantinischen Kaufleuten trafen. Ihre Handelsrouten waren so weitreichend, dass sogar arabische und mitteleuropäische Münzen in skandinavischen Gräbern gefunden wurden. Diese Funde zeigen, dass die Wikinger nicht nur als Eroberer, sondern auch als integraler Bestandteil des mittelalterlichen Wirtschaftssystems agierten.
Viele Wikinger nutzten Plünderfahrten und Handel parallel – sie raubten, wenn es sich ergab, und handelten, wenn es profitabler war. In manchen Fällen begannen Raubzüge als brutale Überfälle, entwickelten sich aber mit der Zeit zu stabilen Handelsbeziehungen. Ein Beispiel ist die Stadt York in England, die zunächst von den Wikingern erobert, dann aber in ein blühendes Handelszentrum verwandelt wurde.
Städte wie Hedeby oder Birka waren florierende Handelszentren, die von diesem Geschäft lebten. Dort trafen sich Kaufleute aus Skandinavien, dem Frankenreich, dem slawischen Osten und dem islamischen Kalifat. Besonders wertvoll waren Luxusgüter wie byzantinische Seide, arabische Silbermünzen oder Glasperlen, die ihren Weg bis in die entlegensten Winkel Skandinaviens fanden. Gleichzeitig exportierten die Wikinger begehrte nordische Waren wie Bernstein, Walross-Elfenbein und Waffen.
Die Rolle der Wikinger als Händler wird oft unterschätzt, doch ohne sie wären viele der Handelsrouten des frühen Mittelalters nicht so effizient gewesen. Sie verbanden den Norden mit dem Süden, den Westen mit dem Osten – und prägten so die wirtschaftliche Landschaft Europas und darüber hinaus.
Das Ende der Wikinger als Berufsstand
Mit der Christianisierung Skandinaviens und dem Erstarken der europäischen Königreiche wurden die Wikingerausfahrten seltener. Neue Gesetze und Herrscher wollten das Plündern unterbinden, um stabile Reiche aufzubauen. Die einst freien Krieger und Seefahrer wurden zunehmend in feudale Strukturen eingebunden, in denen individuelle Raubzüge nicht mehr geduldet wurden. Gleichzeitig verbesserten sich die Verteidigungsanlagen der europäischen Küstenstädte, was Plünderfahrten riskanter und weniger lukrativ machte.
Viele Wikinger ließen sich nieder, wurden Bauern, Händler oder schlossen sich fremden Armeen als Söldner an. Besonders bekannt sind die Waräger, eine Gruppe nordischer Krieger, die in den Dienst des Byzantinischen Kaisers traten. Ihre berühmte Warägergarde wurde zur Eliteeinheit in Konstantinopel und galt als unbestechlich. Auch in Russland spielten Wikinger eine entscheidende Rolle: Die Kiewer Rus, gegründet von skandinavischen Fürsten, entwickelte sich zu einem mächtigen Staat mit engen Handelsbeziehungen nach Skandinavien und Byzanz.
In Westeuropa wurden einige Wikinger zu Herrschern über neue Gebiete. Die Normannen in Frankreich, Nachfahren dänischer Wikinger, ließen sich im 10. Jahrhundert in der Normandie nieder und gründeten später ein mächtiges Herzogtum. Von dort aus eroberten sie 1066 England und errichteten eine neue Herrschaftsordnung. Später breiteten sich normannische Krieger bis nach Süditalien und Sizilien aus, wo sie eigene Königreiche gründeten.
Mit der Zeit verschwand das „Wikingersein“ als Tätigkeit – aber das nordische Erbe blieb. Ihre Schiffe, Kampftechniken und Handelsnetzwerke beeinflussten Europa noch lange nach dem Ende der Wikingerzeit. Ihre Nachfahren prägten die Geschichte weiter, von England bis Sizilien, und ihr Ruf als furchtlose Seefahrer und Entdecker lebt bis heute.
Fazit: Die Wahrheit über die Wikinger
Wikinger waren keine einheitliche Volksgruppe, sondern Menschen, die sich für eine bestimmte Zeit einem gefährlichen, aber lukrativen Leben auf See verschrieben. Sie waren Bauern, Händler, Entdecker und Krieger – je nach Situation und Notwendigkeit. Ihre Plünderfahrten brachten ihnen Ruhm und Reichtum, doch sie waren ebenso geschickte Kaufleute, die ein weitreichendes Handelsnetzwerk aufbauten. Ihre Reisen führten sie nicht nur nach England und Frankreich, sondern bis nach Byzanz, Russland und sogar Nordamerika.
Ihr Erbe besteht nicht nur aus Raubzügen und Schlachten, sondern auch aus technologischen Errungenschaften, beeindruckender Seefahrtskunst und kulturellem Einfluss, der bis heute spürbar ist. Die Wikinger hinterließen Spuren in den Sprachen, Gesetzgebungen und Gesellschaften vieler europäischer Länder. Städte wie Dublin oder York haben nordische Wurzeln, und viele Adelsfamilien in Europa können ihre Abstammung auf skandinavische Krieger zurückführen.
Also, wenn du das nächste Mal von den Wikingern hörst, denk daran: Es war kein Volk – es war eine Lebensweise! Ein Wikinger zu sein bedeutete, sich der Herausforderung des Meeres zu stellen, neue Länder zu erkunden und nach Ruhm und Wohlstand zu streben. Und genau deshalb faszinieren uns die Geschichten über sie bis heute.
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